Nachdenken
über Wirtschaft:
Wirtschaft
ist ein faszinierendes Gebiet, um es zu betrachten und darüber
nachzudenken. Das wirtschaftliche Schauspiel, das sich gesellschaftsweit
vor unseren Augen abspielt, ist komplex und nicht leicht
zu durchschauen. Dazu kommt noch, dass die Meinungen über
Wesen und Wert von Wirtschaft zumeist von Vorurteilen geprägt
sind. Wenn man selber ein bisschen nachdenkt, kommt man
häufig zu Ergebnissen, die dem, was die allgemeine
Meinung oder die Wirtschaftswissenschaft glaubt, ganz entgegen
gesetzt ist. Doch halte ich es auch auf diesem Gebiet mit
meinem philosophischen Ethos: Ich will nicht einfach irgendwelche
Dinge als wahr behaupten, sondern Gedankenzusammenhänge
präsentieren. In der Richtigkeit des logischen Zusammenhangs
meiner Gedanken liegt ihre Wahrheit - und diese liegen vor
dem Leser/der Leserin ausgebreitet da. Ein jeder/eine jede
kann also durch schlichten Nachvollzug meiner Gedanken,
durch Mitdenken, zu einem Urteil darüber kommen, ob
das, was ich behaupte, wahr ist oder nicht.
Über
den Kundennutzen ökonomischer Produkte
Das
größte Vorurteil über die Wirtschaft ist
das, dass sie Nutzen stifte. Dieses Vorurteil führt
zu einem völlig verkehrten Verständnis von Wirtschaft.
Und das ist schlimm, weil ihr angeblicher Nutzen dasjenige
ist, was die Wirtschaft in den Augen der Menschen rechtfertigt.
Die
Vorstellung vom Nutzen, den die Wirtschaft für den
Menschen habe, führt zu einer völlig falschen
Denkweise: Sie verführt dazu zu denken, dass die Menschen
etwas kaufen, weil sie es selber wollen; weil sie meinen,
dass sie selber einen Nutzen davon haben. Aber das ist falsch.
In Wirklichkeit entsteht der Nutzen eines Produkts nicht
im Menschen, der es konsumiert, sondern durch den Wert,
den die Gesellschaft ihm verleiht.
Ein
Beispiel: ein Bildungsabschluss – sein Nutzen liegt
nicht in dem Wissen, das in ihm steckt (denn Wissen, das
sich jemand angeeignet hat, ohne dafür ein offizielles
Zertifikat zu bekommen, ist gänzlich wertlos), sondern
darin, dass der Arbeitsmarkt diesen Bildungsabschluss anerkennt.
Zumindest hofft das Individuum darauf und wird deshalb die
für die Ausbildung nötige Gebühr entrichten.
Jetzt
wird man einwenden: „Ja, aber das ist doch auch ein
Nutzen für den Menschen! Dieser Mensch bekommt durch
den Bildungsabschluss vielleicht einen Job.“ Ja, das
ist richtig. Aber es ist irrelevant. Denn der Nutzen entsteht
nicht in der Person desjenigen, der die Ausbildung absolviert,
sondern in der Gesellschaft dadurch, dass sie ihr Wert zuerkennt.
Der
Begriff des Nutzens suggeriert also, dass die Leistungen
aus wirtschaftlicher Arbeit letztlich dem Menschen als Individuum
zugute kommen. In dieser Vorstellung liegt der Fehler –
denn wer so denkt, hat den Begriff des Wirtschaftskreislaufs
falsch verstanden: Wirtschaftliche Güter erhalten ihren
Wert aus dem wirtschaftlichen Kreislauf. Ihr Nutzen liegt
darin, dass sie im wirtschaftlichen Kreislauf weitergereicht
werden können. Würden sie beim Menschen angelangen,
wären sie aus dem wirtschaftlichen Kreislauf herausgefallen
und in einer Sackgasse gelandet.
Um
eine Vorstellung zu geben von dem, was ich meine: Wir tun
in der Wirtschaft – als Arbeitende oder Konsumenten
– jeweils Dinge und glauben, wir täten sie für
uns; in Wirklichkeit aber tun wir sie für die Wirtschaft:
Wir kleiden uns, damit wir adrett in die Arbeit kommen;
wir erholen uns, um für die Arbeit fit zu sein; wir
besitzen ein Auto, um in die Arbeit zu fahren, etc. Freilich
ist der Trick dabei, dass wir in allen diesen Dingen auch
jeweils einen Nutzen für uns selber sehen können.
Aber der Umkehrschluss beweist die Richtigkeit meiner These:
Bei einer Sache, deren Nutzen wir allein darin sehen, dass
sie uns gut tut und die nicht vom Wirtschaftssystem gestützt
wird, tun wir uns extrem schwer, ihren Nutzen zu behaupten
und an ihn zu glauben.
Wenn
man das recht bedenkt, so bedeutet es letztlich, dass wirtschaftliche
Tätigkeit gar keinen Nutzen für die Menschen hat.
Denn alles, was Nutzen für die Menschen selber hat,
müsste genau dadurch aus dem wirtschaftlichen Kreislauf
herausfallen. Eben dadurch verliert es aber seinen wirtschaftlichen
Nutzen. Ein Beispiel: Ein Mensch liest gern Kriminalromane
– er verschwendet dadurch seine Zeit und Ressourcen.
Die Kriminalromane haben also keinen Nutzen für ihn
(außer dass sie ihm ein bisschen helfen, sich von
der Arbeit zu entspannen), sondern er konsumiert sie auf
Kosten seines wirklichen Nutzens. Seinen wirklichen Nutzen
fände er, wenn er etwas täte, das seinen Wert
auf dem Arbeitsmarkt erhöht.
Wirtschaftlicher
Nutzen und Nutzen für den Menschen können so weit
auseinander treten, dass sie gegensätzlich werden.
In ihrem Buch Der kleine Machiavelli. Handbuch der Macht
für den alltäglichen Gebrauch (Piper, München
2007 (1987)) schreiben Peter Noll und Hans Rudolf Bachmann,
dass die Managerstellen in Unternehmen, was viele Menschen
verwundere, zumeist mit einer Menschensorte besetzt seien,
die sie die „grauen Mäuse“ nennen. Diese
beschreiben sie folgendermaßen:
„Die
grauen Mäuse fahren keinen Sportwagen, sie haben
kein Verhältnis mit einem Mannequin, sie tragen
keine poppigen Krawatten, sie haben höchstens einmal
im Jahr einen Alkoholrausch, und dann auch keinen spektakulären.
Die grauen Mäuse haben verhältnismäßig
kurzgeschnittenes Haar, wenn nicht eine Glatze, und
tragen keinen Bart. Die graue Maus ist mit einer adretten
Frau verheiratet, niemals mit einer exaltierten oder
gar einer Emanze. Die graue Maus betreibt nur Sportarten,
die teuer und z.T. sogar vornehm sind […]. Diese
Sportarten betreiben die grauen Mäuse nicht zum
Vergnügen, wie sie überhaupt nichts zum Vergnügen
tun, sondern um fit und in zu bleiben, fit für
das Geschäft, versteht sich, und in für sich
und die eigene Karriere. Der Mode folgt die graue Maus
nur in sehr gemessenem Abstand, da die graue Maus ja
Kontinuität gewährleisten muß […]“
(S. 36-37) |
Hier
sieht man sehr gut, was ich erklären will: Das gesamte
Konsumverhalten der grauen Mäuse erklärt sich
aus ihrer beruflichen Stellung und ist dieser untergeordnet.
Sie kaufen und konsumieren nichts, weil sie es selber wollen.
Ihr Verzicht geht so weit, dass sie auf ihr eigenes Leben
verzichten, indem sie auf ihre eigene Persönlichkeit
verzichten und graue Mäuse werden. Freilich haben sie
auch etwas davon, denn sie werden fürstlich entlohnt.
Doch ist diese Entlohnung eigentlich eine Entschädigung
dafür, dass sie auf ihr gesamtes Leben verzichten.
Bei den grauen Mäusen wird der Widerspruch zwischen
wirtschaftlichem Nutzen und persönlichem Nutzen evident:
Ihr wirtschaftlicher Nutzen ist sehr groß, aber sie
erlangen ihn dadurch, dass sie komplett auf ihren persönlichen
Nutzen verzichten und sogar ihren Charakter den beruflichen
Erfordernissen unterstellen. Anders gesagt, die grauen Mäuse
ziehen großen Nutzen aus dem Wirtschaftssystem (indem
sie gut entlohnt werden), aber sie bezahlen auch dafür
und zwar mit dem Höchstpreis, mit ihrem Leben. Das
bedeutet aber nicht, dass dasjenige, was für die grauen
Mäuse ganz gilt, nicht auch für die übrigen
Menschen weitgehend gälte, nämlich soweit, wie
sie im Bann der Wirtschaft stehen oder der Arbeitsplatz
Einfluss auf sie ausübt.
Was
erklärt dieser Ansatz nun? Was sind seine Stärken?
Ich sehe vor allem zwei:
- Wenn
ich nach dem Kundennutzen eines Produkts frage, würde
ich mich nicht an dem orientieren, was die Menschen wollen
könnten. Denn die Menschen wissen zumeist selber
nicht, was sie wollen. Ich würde eher nach denjenigen
Organisationen und Institutionen in der Gesellschaft fragen,
die einem Gegenstand Wert verleihen und ihn dadurch in
den Augen von Individuen nützlich erscheinen lassen.
Würde man z.B. in den Bundesdienst nur dann aufgenommen
werden, wenn man eine Wäschekluppe auf der Nase trägt,
so würde man sehr bald viele Menschen mit Wäschekluppen
auf der Nase herumlaufen sehen. (Dass eine Wäschekluppe
auf der Nase unangenehm ist, hat mit ihrem Nutzen nichts
zu tun: Wir haben gesehen, dass der Kundennutzen eines
Produkts nichts damit zu tun hat, ob es dem Menschen mit
ihm besser geht oder nicht.)
-
Mein Erklärungsansatz kann erklären, warum in
der Wirtschaft die höchste Stufe auf der Maslowschen
Bedürfnispyramide – die Selbstverwirklichung
des Menschen – nie erreichen wird. Immer bleibt
der Kundennutzen auf den Stufen 1-4 (Grundbedürfnisse;
Sicherheit; soziale Beziehungen; soziale Anerkennung)
stehen. Der Grund ist: Weil Selbstverwirklichung etwas
ist, was der Mensch für sich alleine hätte.
Es wäre das also der einzige wirkliche Nutzen für
den Menschen, weil es der einzige ist, über dessen
Bestehen er selbst entscheiden kann (über meinen
Hunger entscheide nicht ich, sondern mein Magen, und über
dasjenige, was meine soziale Anerkennung erhöht,
entscheide nicht ich, sondern die anderen, die das bewundern
wollen, was ich besitze). Aus genau diesem Grund fällt
er aber – wie ich bewiesen habe – aus dem
wirtschaftlichen Kreislauf heraus: Dass es mir gut geht,
ist allein noch keine Leistung, für die meine Mitmenschen
mich entlohnen wollen würden.
Daraus
folgt: Wir sollten uns dessen bewusst werden, dass wirtschaftlicher
Nutzen sich immer in einem begrenzten Kreislauf bewegt,
der nie dasjenige erreichen kann, was wirklich einen Nutzen
für den Menschen darstellen würde. Menschliche
Bedürfnisse befriedigt Wirtschaft nur auf den niederen
Ebenen der physischen Grundbedürfnisse: Sie gibt uns
zu essen, verschafft uns Kleidung und Wohnung. Darüber
hinaus ist sie nicht imstande, irgendeinen menschlichen
Wunsch zu erfüllen, weil sie ihn nicht in den Wirtschaftskreislauf
integrieren kann. (Das bedeutet freilich nicht, dass der
Mensch ihn sich nicht trotzdem erfüllen kann: Er verdient
ja häufig ein wenig mehr Geld, als er zum Leben braucht
und hat etwas Freizeit; er hat also einen kleinen Handlungsspielraum.)
Daher kommt zum Beispiel der Eindruck der Atemlosigkeit
unserer Gesellschaft: Unsere Gesellschaft versucht immer
mehr Produkte zu erzeugen, um durch das Wirtschaftswachstum
endlich jene Stufe zu erreichen, in der wir uns dem Genuss
dieser Produkte widmen können. Das Dumme ist nur, dass
die Wirtschaft die Ausweitung der Wirtschaftsleistung nur
über eine stärkere Anspannung der wirtschaftlichen
Zusammenhänge erlaubt. Das bedeutet: Wir haben dann
zwar noch mehr Produkte und Lebensmittel von noch ausgesuchterem
Geschmack, aber wir arbeiten noch mehr und haben noch weniger
Zeit, unseren Kaviar hinunterzuschlingen. Auch Luxus ist
in unserem Wirtschaftssystem eigentlich nicht möglich.
Wenn man sich fragt, wie Luxus möglich ist, dann stößt
man auf die Antwort, dass er eigentlich nur dadurch möglich
gemacht wird, indem er durch wirtschaftliche und gesellschaftliche
Notwendigkeiten für manche Menschen auf das Niveau
eines Grundbedürfnisses erniedrigt wird. In manchen
gesellschaftlichen Kreisen benötigt man einfach eine
Designerhandtasche, um dazuzugehören. Wenn sich das
so verhält, dann stellt sich für die Menschen
auch gar nicht mehr die Frage, ob sie diese Designerhandtasche
denn auch wollen – sie müssen sie ja ohnehin
haben. Und eben darum ging es ja in diesem Text: Darum,
zu zeigen, wie Wirtschaft unser Wollen stückweise gegenstandslos
macht, bis wir das wollen, was wir wollen müssen, damit
wir dort dazugehören, wo wir unser Brot verdienen.
Und
dadurch, dass wirtschaftliche Güter so funktionieren,
indem sie unseren individuellen Willen gegenstandslos machen,
können sie eigentlich überhaupt keinen Nutzen
für uns haben. Denn ein Nutzen für mich ist immer
etwas, was ich will. Ein jeder andere Nutzen hat eigentlich
nichts mit mir zu tun. Doch der Kundennutzen von Wirtschaftsprodukten
entsteht nie im Individuum, sondern immer aus dem Wirtschaftskreislauf
heraus, welcher Selbstzweck ist. Das heißt, ich kaufe
nie das, was ich will, sondern das, was andere (in irgendeiner
Form) meinen, dass ich haben sollte. Aufgrund dieser beständigen
Weiterorientierung auf die anderen Menschen und auf dasjenige,
dem der Wirtschaftskreislauf Wert verleiht, kann der Nutzen
nie beim Einzelmenschen ankommen.
Womit
bewiesen ist, dass wirtschaftliche Aktivität und Leistung
tatsächlich gänzlich keinen Nutzen hat.
29.
Juni 2010
Nachschrift
Der
oben stehende Text beinhaltet ein Gedankenexperiment, das
den Kreislaufcharakter wirtschaftlicher Nutzenerzeugung
sichtbar machen möchte. Dabei fußt dieses Gedankenexperiment
auf einer bestimmten Perspektivierung des Themas, nämlich:
Der Nutzen von Produkten wird aus der Perspektive des Einzelmenschen
gesehen. Diese Perspektivierung ist insofern gerechtfertigt,
als der Nutzen von wirtschaftlichen Produkten doch irgendwann
einmal beim einzelnen Menschen ankommen muss, um wahrlich
Nutzen sein zu können. (Von „Zwischennutzen“,
also z.B. davon, dass ein Unternehmen ein Vorprodukt bezieht,
um dieses zu veredeln (also seinen Nutzwert zu erhöhen)
und es dann teurer weiter verkaufen zu können, hat
ja niemand etwas. Wirklicher Nutzen ist erst der, der irgendwo
ankommt.)
Diese
Nachschrift nun hat den Zweck zu zeigen, dass das im oben
stehenden Text Ausgesagte – vielleicht entgegen dem
Anschein – nicht nur allein für die gewählte
Perspektive gilt, sondern eine allgemeinere Wahrheit beinhaltet,
die sich ebenso in objektiverer oder ausgewogenerer Weise
formulieren lässt. In objektiverer (wobei „objektiver“
nicht automatisch meint „richtiger“, sondern
eine andere Perspektive markiert, eine Art Vogelperspektive,
durch die man das Thema aus größerer Distanz
und von oben herab betrachtet) Darstellungsweise würde
das in meinem Textversuch Ausgesagte ungefähr folgende
Form annehmen:
Wirtschaft
befriedigt nur einen Teil der menschlichen Bedürfnisse.
Sie bedient sich – wie die Gesellschaft insgesamt
auch – zum Zwecke ihres eigenen Funktionierens selektiv
menschlicher Bedürfnisse und lässt solche menschlichen
Bedürfnisse, mit denen sie nichts anfangen kann, kalt
fallen.
Insbesondere
können wir zwischen drei „Nutzenebenen“
unterscheiden. Da gibt es einmal
- die
Ebene der menschlichen Grundbedürfnisse. Diese sind
so stabil und vorausberechenbar, dass sich die Wirtschaft
ihrer leicht bedienen und sie in das eigene Funktionieren
integrieren kann. Zu ihnen wollen wir mal ganz einfach
Nahrung, Kleidung und Wohnen zählen. Es besteht kein
Zweifel, dass Wirtschaft diese Dinge zu erzeugen und zu
verteilen in der Lage ist – und auf dieser Eben
stiftet Wirtschaft auch ganz unbestreitbar einen Nutzen,
weil sie hier im Einklang ist mit dem Menschen, der sich
z.B. ernähren muss und dem sie Nahrung bietet.
-
Eine zweite Ebene bilden alle jene Nutzen für die
Menschen, die zwar über die Ebene der Grundbedürfnisse
hinausgehen, sich aber immer noch in den Wirtschaftskreislauf
integrieren lassen. Hierzu zählen vor allem: das
Bedürfnis nach Sicherheit, das Bedürfnis nach
sozialer Anerkennung und das Bedürfnis, sich im wirtschaftlichen
Konkurrenzkampf gegenüber den anderen Menschen einen
Vorteil zu verschaffen. Es ist die Frage, inwieweit man
diese Bedürfnisse überhaupt begrifflich voneinander
scheiden soll: So rückt etwa der Wunsch, gegenüber
anderen Menschen im wirtschaftlichen Konkurrenzprozess
einen Vorteil zu erlangen, bei mangelndem Erfolg der mit
ihm verbundenen Bemühungen bereits in die Nähe
der Angst vor sozialem Abstieg und jener, aus dem wirtschaftlichen
Kreislauf herauszufallen.
-
Auf einer dritten Ebene finden sich alle jene Nutzenarten,
die dem Individuum die höchste Befriedigung gewähren
aber sich nicht mehr in den ökonomischen Kreislaufprozess
integrieren lassen. Warum lassen sie sich nicht mehr integrieren?
Nun, deshalb, weil sie in der Befriedigung des Individuums
ihren Endpunkt finden und für das Individuum keinen
weiteren Nutzen mehr dadurch stiften, indem sie es z.B.
in den Augen anderer Menschen beneidenswert erscheinen
lassen oder ihm einen Wettbewerbsvorteil im ökonomischen
Konkurrenzkampf verschaffen. Anders gesagt, hier handelt
es sich um alle Dinge oder Produkte, die nicht mehr Nutzen
haben als den, den sie eben für mich oder für
den Einzelnen, der sie konsumiert, haben.
Hier
zeigt sich nun, dass der Mensch mit der dritten Klasse von
Nutzenarten alleine da steht, weil diese Nutzen nicht mehr
vom Wirtschaftskreislauf unterstützt werden. Er muss
sie alleine gegen die Intentionen des Wirtschaftssystems
aufrechterhalten, weil ihre Verfolgung ihm nicht hilft,
im Wirtschaftskreislauf zu bleiben oder seine Position in
ihm zu verbessern. Wenn es sich bei einem solchen Nutzen,
den man ganz alleine hat, während die anderen ihn nicht
als Nutzen erkennen, nicht um eine Art Grundbedürfnis
oder – was auf dasselbe rauskommt – um eine
Leidenschaft handelt, dann ist es das Wahrscheinlichste,
dass man ihn, von anderen Verpflichtungen und alltäglichen
Mühen abgelenkt, bald vergisst. Wonach man also strebte,
das wird unmerklich verdrängt von anderen Dingen, die
sich leichter mit anderen Menschen teilen und in den Wirtschaftskreislauf
integrieren lassen.
Was
ist nun das Schlimme daran? Bei Produkten aus der zweiten
Klasse von Kundennutzen weiß man nie so genau, ob
man sie um seiner selbst willen oder um der anderen willen
erstrebt hat; bei jenen aus der dritten Klasse ist man sich
dessen sicher, dass man sie um seiner selbst willen wollte.
Verliert man sie aus den Augen, verliert man also das aus
den Augen, was man selber letzten Endes wirklich wollte.
Die Nutzen aus der zweiten Nutzenklasse haben oft Mittel-Charakter.
Das heißt: Ich möchte auf dem Arbeitmarkt erfolgreich
sein, ich möchte von den anderen bewundert und beneidet
werden, aber letztlich möchte ich das auch deshalb,
um mir dadurch jenen Freiraum zu verschaffen, in dem es
mir möglich ist, mich endlich jenen Dingen zuzuwenden,
die mich wirklich interessieren. Nutzenklasse eins und zwei
werden also von Menschen, die nicht ganz dumpf sind, zu
dem Zweck aufgesucht, um Nutzenklasse drei zu erreichen.
Denn niemand wird sagen, dass er im Leben die Erfüllung
gefunden habe, bloß weil er, und sei es auch ganz
passabel, gegessen habe.
Es
verhält sich nun so, dass der wirtschaftliche Kreislauf
den Menschen zur Nutzenklasse drei nie kommen lässt,
sei es, weil er ihn mit dem Streben nach den Gütern
der Nutzenklassen eins und zwei endlos beschäftigt
hält (so wie das der Fall bei den grauen Mäusen
ist) oder sei es, weil er ihm zwar schon Zeit und Muße
für sie lässt, diese Güter aber in seinen
eigenen Augen dadurch entwertet, dass er ihnen den ökonomischen
Wert und dadurch auch (in unserer ökonomisierten Gesellschaft)
ihre gesellschaftliche Anerkennung entzieht.
Schlussfolgerung:
Wenn man nun davon ausgeht, dass Wirtschaft dem Menschen
ebenso effizient hilft, seine Bedürfnisse in den Nutzenklassen
eins und zwei zu befriedigen (was sie zweifellos tut) wie
sie ihn effizient davon abhält, sich mit seinen Bedürfnissen
in Nutzenklasse drei überhaupt zu beschäftigen
(weil sie sich mit diesen nichts anzufangen weiß,
da sie sie nicht in ihre Prozesse integrieren kann); wenn
man also davon ausgeht, dass die Wirtschaft den Menschen
daran hindert, bei jenem Nutzen oder jenen Nutzen anzukommen,
derentwegen er die anderen Nutzenarten überhaupt aufsucht;
wenn man also davon ausgeht, dass die Wirtschaft den Menschen
darin unterstützt, seine körperlichen Grundbedürfnisse
zu befriedigen zum Preis dafür, dass er auf das verzichten
muss, was er wirklich will, dann muss man eigentlich daraus
schließen, dass die Wirtschaft dem Menschen keinerlei
Nutzen bringt. Ja mehr noch, man muss im Grunde sogar noch
weiter gehen, als ich es in meinem Text getan habe, und
daraus schließen, dass die Wirtschaft dem Menschen
in einer bestimmten, aber essentiellen Hinsicht, unendlichen
Schaden antut, weil sie ihn effizient davon abhält,
dort anzugelangen, wo er hin will.
Für
die Beurteilung der Wirtschaft bedeutet das: Wirtschaft
kann in einem bestimmten Umfang menschliche Bedürfnisse
befriedigen und dem Menschen daher nützlich sein, aber
über diesen beschränkten Umfang hinausgehen kann
sie nicht. Es bleiben deshalb menschliche Bedürfnisse
und daher auch Nutzen für den Menschen übrig,
welche sich nicht in das System der Wirtschaft integrieren
lassen. Daraus folgt, dass der Mensch, um bei denjenigen
Dingen anzugelangen, die er wirklich will, den wirtschaftlichen
Zusammenhang samt der ihm innewohnenden Logik verlassen
muss. Umgekehrt bedeutet das natürlich, dass wirtschaftliche
Tätigkeit nicht mehr als einen Teil des menschlichen
Lebens ausmachen darf. Die Problemlösungskompetenz
mit wirtschaftlichen Mitteln ist also beschränkt und
nicht alles, was der Mensch ist und will, kann – so
wie das in unserer Zeit offenbar versucht wird – in
die Wirtschaft integriert werden.
Die
Wirtschaft ihrerseits bezieht ihre Energie nicht daraus,
wie man irrtümlicherweise meint, dass sie des Menschen
Bedürfnisse erfüllt und ihm Nutzen bringt. Sie
muss als ein in sich geschlossenes System begriffen werden,
das seine Kraft aus der Verstärkung einzelner Stufen
seiner eigenen Kreislaufprozesse schöpft. Umso mehr
in die Wirtschaft integriert wird, umso mächtiger wird
die Wirtschaft. Wirtschaft befriedigt also keine Bedürfnisse
außer ihre eigenen – das ist ein systemisches
Problem und ließe sich, wie ich denke, mit systemtheoretischen
Mitteln nachweisen.
30.
Juni 2010
Ökonomie
und Shoppingmentalität.
Warum
Geldverschwendung oft erfolgreicher ist als Sparen und Anlegen.
Eine Rezension von: Sophie Kinsella: Confessions of
a Shopaholic.
Über
den Nutzenbegriff. Präsentation mit Vortragsnotizen
Vortrag, gehalten beim 2. Symposium der Gesellschaft für
Philosophie und Medizin am 10. Dezember 2014 im Jugendstilhörsaal,
der Medizinischen Universität Wien
Was
ist ökonomisches Denken?
Arbeitsblatt:
Die Win-Win-Strategie (Das "Harvard-Konzept")
pdf-Dokument (2Seiten)
Arbeitsblatt:
Verständnis von Wirtschaft: Konkurrenz, Wettbewerb
pdf-Dokument (2 Seiten)
Arbeitsblatt:
Wie der Kundennutzen unseren Lebensstil verändert
pdf-Dokument (1 Seite)
Arbeitsblatt:
Miss Vansittart oder Miss Rich? Wer ist die richtige Nachfolgerin?
Leadership nach Agatha Christie
pdf-Dokument (3 Seiten)
Der
Entwurf einer Anpassungsgesellschaft. Ein erster Versuch,
NLP (Neurolinguistisches Programmieren) zu verstehen
pdf-Dokument (14 Seiten)
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