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Was ist ökonomisches Denken?

 

Was ist eigentlich ökonomisches Denken? Ja, ich weiß das auch nicht genau. Auf jeden Fall ist es etwas, das in unserer heutigen Gesellschaft hohes Ansehen genießt. Ökonomisches Denken, die Fähigkeit zum ökonomischen Denken, stellt in unserer heutigen Gesellschaft einen sehr hohen Wert, dergestalt, dass ein Mensch ohne ökonomische Ausbildung, von dem man deshalb auch keine Fähigkeit zum ökonomischen Denken erwartet, in unserer Gesellschaft gleichsam nichts wert zu sein scheint. Ein solcher Mensch hat sozusagen das Minimum unterschritten, unter welchem in unserer Zeit jemand nicht mehr als vollwertiger und ernstzunehmender Mensch angesehen werden kann.

Hanno Beck, Diplom-Volkswirt und Wirtschaftsredakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, liefert im letzten Kapitel seines amüsanten und leicht lesbaren Buchs: Der Alltagsökonom (dtv, München 2006, 3. Aufl. (2004)), eine Darstellung des Selbstbildes eines Ökonomen, welche unmittelbar zum Widerspruch anregt und in der Folge zur gedanklichen Auseinandersetzung mit der Frage, was denn ökonomisches Denken und Handeln eigentlich sei. Das Kapitel trägt den Titel „Warum wir kaltherzige Ökonomen brauchen“, und der Autor erzählt in ihm die Geschichte, wie er sich über die Weihnachtsansprache 2003 des deutschen Bundespräsidenten Johannes Rau – als Ökonom – sehr geärgert hat.

Rau sagte nämlich: „Wir müssen aber aufpassen, dass nicht unser gesamtes gesellschaftliches Leben in allen Bereichen immer mehr nach den Mustern von Wirtschaftlichkeit und Effizienz geprägt wird.“ (S. 197) Und: „Wenn wir alle Lebensbereiche nur noch nach wirtschaftlichen Gesetzen formen, geraten wir in eine Sackgasse. Dadurch verfehlen und verpassen wir wesentliche Dinge im Leben.“ (ebd.)

Hanno Beck wird daraufhin, je länger er nachdenkt, „umso ärgerlicher“, weil er der Ansicht ist, dass „der damalige Bundespräsident Herr Rau uns Ökonomen die Leviten – zu Unrecht [liest]“ und meint, es sei „Zeit zu erklären, was Ökonomen mit dem Wort „Effizienz“ wirklich meinen.“ (ebd.)

Was meinen die Ökonomen mit dem Wort „Effizienz“ wirklich? Sie meinen: „Grob gesprochen meint Effizienz nichts anderes, als mit gegebenen Mitteln das bestmögliche Ergebnis zu erreichen. Also: Ich will meine Wohnung streichen? Bitte mit möglichst wenig Farbe in möglichst kurzer Zeit. Ich will ein Krankenhaus bauen? Dann bitte so kostengünstig wie möglich. Ich habe ein bestimmtes Budget zur Verfügung? Dann versuche ich, mit diesen gegebenen Mitteln das Beste zu erreichen.“ (S. 198) Und Hanno Beck gesellt der Effizienz auch noch eine moralische Seite hinzu: "Effizienz bedeutet, mit knappen Mitteln sparsam umzugehen. Daran kann ich zunächst einmal nichts Unmoralisches erkennen. Das Gegenteil von Effizienz ist Verschwendung, und ich halte Verschwendung für unmoralisch.“ (ebd.)

Dann folgen Beispiele über Kunst am Krankenhausbau und eine Tempo 30-Zone mit Bodenschwellen, deren gemeinsamer Sukkus ist, dass „adäquate Mittelverwendung“ Effizienz ist und dass ein jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann, (weil er ja woanders fehlt).

Auch die eigene Familie dürfe man laut Hanno Beck nicht von dieser ökonomischen „Denke“ ausnehmen; er entwickelt also eine Argumentation, die frontal gegen die Botschaften Raus gerichtet ist, wonach man „nicht alle Lebensbereiche nur noch nach wirtschaftlichen Gesetzen formen“ solle: „Gerade bei meinen Liebsten bemühe ich mich doch, alles so gut – sprich: so effizient – wie möglich zu machen. Was halten Sie von folgendem Beispiel: Ihre Kinder wollen auf den Jahrmarkt, das kostet Geld. Würden Sie mit den Kindern auf den Jahrmarkt gehen, ohne sich um die Kosten zu scheren? Schließlich solle man ja in der Familie nicht nach Effizienzgesichtspunkten handeln. Und am Ende des Jahres stellen Sie fest, dass Ihr Geld nicht mehr reicht, um die Kinder einzukleiden, die Reitstunden zu bezahlen oder etwas für die spätere Ausbildung zurückzulegen. Sie haben dann schlimmstenfalls den Jahrmarktbesuch Ihrer Kinder mit deren Ausbildungschancen bezahlt.“ (S. 201)

Weitere Beispiele für „ein eher unökonomisches Verständnis von Effizienz“ in Raus Rede sind für Hanno Beck: „Die Schule ist eben kein Unternehmen. Die Hochschule auch nicht. Bildung ist mehr als bloße Funktionsertüchtigung“ (S. 202) Und: „Ein Krankenhaus ist keine Gesundmaschine. Alten Menschen muss genauso geholfen werden wie jungen.“ (ebd.)

Zum ersten Punkt, zum Bildungsthema, sagt Hanno Beck: „Was auch immer Bildung sein mag, eins weiß ich: Organisiere ich eine Hochschule nicht nach Effizienzgesichtspunkten, dann sinkt der Bildungsstandard des betreffenden Landes.“ (ebd.) – und beim zweiten Punkt, dem Thema der Gesundheitsversorgung, fühlt er sich als Ökonom beleidigt: „Diesen Satz empfinde ich als Ökonom als eine Beleidigung , unterstellt er doch, dass Effizienz damit gleichzusetzen ist, dass man junge Menschen im Krankenhaus mehr hilft als alten Menschen – woher kommt denn diese merkwürdige Vorstellung?“ (ebd.)

Hanno Beck kommt zu einem Schluss, der alle Widersprüchlichkeiten in der Diskussion auflöst, nämlich dass Rau Effizienz mit Profitstreben verwechsle (ebd.) und führt dazu aus: „Effizienz hat nichts mit Gewinn in Euro, mit Profit oder ähnlichen gutmenschenvorurteilsbeladenen Begriffen zu tun. Was Effizienzkritiker zumeist meinen, ist Gewinn, Profit, Mammon – all jene Begriffe, die nach Ansicht vieler Nicht-Ökonomen negativ besetzt sind. Und sie verwechseln Begriffe wie Gewinn oder Effizienz mit Zielen und Wertvorstellungen.“ (ebd., S. 202)

Sachlich wird nun immer klarer, worum es Hanno Beck eigentlich geht: „Gewinne oder Effizienz sind Begriffe, die sich moralischen Kategorien entziehen, sie sollen helfen, Verschwendung zu vermeiden. Sie sind keine Ziele, sondern Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele: Ein Krankenhaus zu bauen, die Familie zu versorgen, Kinder vor Rasern zu schützen. Wer aber knappe Mittel verschwendet, er ist in meinen Augen unmoralisch…“ (S. 204)

Das ist sicher das Schlüsselargument des ganzen Kapitels, dass es sich bei Effizienz um etwas handle, das die Mittel betreffe und nicht die Ziele oder die Werte: „Wenn Sie jetzt genau aufgepasst haben, dann werden Sie merken, dass ich nicht über Ziele streite, sondern über die Art und Weise, wie man diese Ziele am besten erreichen kann. Und ich wette mein Gehalt, dass ich mit meiner Idee einer effizienten Mittelverwendung mehr Krankenhäuser bauen kann, mehr Kinder vor Rasern schützen kann und meiner Familie mehr Gutes tun kann als Menschen mit der Vorstellung, dass Wirtschaftlichkeit etwas moralisch Anrüchiges ist.“ (ebd.)

Aber Hanno Beck scheint noch ein anderes, noch persönlicheres Problem zu haben, eines, das sozusagen noch unter und hinter dieser ökonomischen Argumentationsebene liegt, und zwar mag er es nicht, wenn man ihm mit moralischen Argumenten begegnet: „Daran ist nichts Verwerfliches, jeder Mensch hat eigene Vorstellungen darüber, was gut, wahr und nötig ist, und wofür der Staat seine Mittel ausgeben sollte. Aber warum sagt man dann nicht: „Ich bin der Meinung, der Staat sollte mehr Geld für die Universitäten und die Krankenhäuser ausgeben“? Das ist eine klare Aussage, mit der ich mich vielleicht sogar noch anfreunden könnte, doch womit ich mich nicht anfreunden mag, ist, wenn Menschen mir persönliche Vorlieben und Werturteile unter dem Deckmantel des Wahren, Schönen, Guten verkaufen wollen und mir damit suggerieren wollen, dass diese Vorstellungen von Mittelverwendung sozusagen höhere moralische Weihen besitzen.“ (S. 203)


Soweit die Darstellung von Hanno Beck, eine Darstellung, die, wie ich gesagt habe, unmittelbar die Stimme des Widerspruchs im Leser erregt und das vor allem aus folgenden zwei Gründen:

Der erste Grund besteht darin, dass man – selbst wenn man Hanno Becks Argumentation nachvollzieht und sie für richtig hält – trotzdem sehr gut versteht, was der damalige deutsche Bundespräsident Johannes Rau gemeint haben mag. Mag sein, dass die Art und Weise, wie er den Begriff „ökonomisch“ gebraucht hat, aus fachlicher Sicht nicht ganz richtig gewesen ist, aber: Die Tatsache allein, dass wir alle aus ein paar kurzen Zitaten und ohne weitere Erläuterungen verstehen können, was Herr Rau gemeint hat, zeigt jedoch, dass es das, wovon er da sprach, in irgendeiner Weise tatsächlich gibt. Zumindest gibt es diese Inhalte, von denen er sprach, und diese Gedanken, die diesen Inhalten eine Form geben, in unserer kollektiven Gedankenwelt, in unserem gesellschaftlichen Diskurs, wie man heute sagt. Wenn also Bundespräsident Rau mit diesen Worten, so wie er sie gebraucht hat, etwas völlig Neues und Unerhörtes gesagt hätte, würde man ihn nicht so leicht verstehen können, wie das der Fall ist. Daraus folgt, dass er nichts wesentlich Neues gesagt hat, sondern nur eine Diskussion, die es in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit schon gibt, noch einmal wiederholt hat.

Und jetzt ist die Frage, ob man bei einer Diskussion, die es in der gesamten Gesellschaft geschafft hat, sich zu etablieren (Stichwort: „Wenn wir alle Lebensbereiche nur noch nach wirtschaftlichen Gesetzen formen, geraten wir in eine Sackgasse.“), annehmen will – so wie Hanno Beck es nahe legt - , dass sie völlig gegenstandslos ist, dass sie völlig irrig ist und dass es also keinerlei menschliche Erfahrungen gibt, auf denen sie eventuell beruht? Und wenn sich nun Hanno Beck beim Thema Gesundheitsversorgung gekränkt zeigt über den Satz von Johannes Rau („Ein Krankenhaus ist keine Gesundmaschine. Alten Menschen muss genauso geholfen werden wie jungen.“) und darauf reagiert mit der Frage, woher denn diese merkwürdige Vorstellung von Effizienz komme? – dann kann ich nur sagen, dass ich das doch auch nicht weiß, woher sie kommt. Ich meine, es wird doch nicht irgendwer eine persönliche Erfahrung in dieser Richtung gemacht haben? Nein, nicht? - Na, dann ist es ja gut.

Der zweite Grund, warum die Argumention von Hanno Beck Misstrauen und Widerspruch erregt, besteht darin, dass er ökonomisches Denken und Handeln rein als ein solches darstellt, das Verschwendung zu vermeiden versucht, wobei er Verschwendung als moralisch verwerflich auffasst. Dass Verschwendung etwas Schlechtes ist, das ist nun eine Sache, auf die wir uns wirklich alle einigen können – und wenn ökonomisches Denken in nichts anderem bestehen sollte, als in der Vermeidung von Verschwendung, dann wäre das ökonomische Denken ja wirklich reingewaschen von allen Zweifeln an seiner eventuellen moralischen Qualität und so unschuldig wie ein neugeborenes Kind. Und eben das ist es, was Misstrauen erregt gegenüber dieser Argumentation und den Verdacht, dass es sich bei ihr um eine Manipulation handeln könnte: dass hier gleichsam das ganze Spektrum des wirtschaftlichen Handelns reduziert wird auf die Vermeidung von Verschwendung, ganz so, wie es der Wortbedeutung von "ökonomisch" entspricht, wenn man sagt, dass jemand „ökonomisch denke“ oder „ökonomisch zu handeln verstehe“. Man meint dann, dass jemand sparsam handelt und mit seinen Mitteln zu haushalten versteht. Es ist das eine Wortbedeutung von „ökonomisch“, die niemals Kontroversen über das Ökonomische hervorrufen könnte, so wie die von Johannes Rau vorgebrachte, weil wir es in diesem Sinn des Wortes eigentlich alle für gut und erstrebenswert halten, „ökonomisch“ zu sein, wenn es da nicht noch andere Wortbedeutungen gäbe. Es erscheint aus diesem Grund also so, als ob Hanno Beck sich auf die unschuldigste Bedeutung des Worts „ökonomisch“ zurückziehen würde, um von da aus das ökonomische Denken zu rechtfertigen – und er sich dabei von einer unschuldigen Wortbedeutung beschützen lässt.

Wenn man die von Hanno Beck vorgetragene Argumentation hinterfragen wollte, wo könnte man da ansetzen?

Aber vielleicht sollte ich vorher noch eine andere Frage klären, und zwar: Was hat dieser Text hier eigentlich mit Philosophie zu tun?

Es scheint darin ja an sich bloß um Wirtschaft zu gehen, und die hat doch mit Philosophie gar nichts zu schaffen? Ich meine aber, dass es beim Philosophieren an und für sich nicht darum geht, anderen Menschen eine Lehre darzustellen oder ihnen ein Wissen zu vermitteln, sondern viel eher darum, die Argumentationen anderer Menschen zu hinterfragen. Die Geschichte der Philosophie hat gezeigt, dass wir Philosophen uns nicht wirklich als Experten für irgendwelche Inhalte hervortun können; wenn wir Philosophierenden für irgendwas Experten sind, dann sind wir Experten für Argumentationen oder zumindest sind wir geübt darin, es zu erkennen, wenn eine Argumentation, die man uns vorbringt, gar zu einfach ist, wenn sie wackelig ist oder einen Haken hat. Insofern ist es überhaupt die Frage, ob es philosophisch ist, sich mit Kant oder Nietzsche auseinanderzusetzen, nur weil diese zur Geschichte der Philosophie gehören, denn Argumentationen gibt es ja überall in der Welt, und man würde sich als Philosophierender wohl allzu sehr einschränken, wenn man sich nur auf die Argumentationen beschränkt, die aus der Philosophiegeschichte kommen oder mit traditionell als philosophisch geltenden Themen zu tun haben.

Ich würde überhaupt nicht sagen, dass jemand von Philosophie etwas versteht, der weiß, was Nietzsche und Kant geschrieben haben. Man treibt ja schließlich auch nicht Philosophie, um die Philosophiegeschichte zu verstehen, sondern um die Welt und das Leben zu verstehen. Und aus diesem Grund können eben nicht nur die Texte anerkannter Philosophen Gegenstand des Philosophierens sein, sondern alles kann Gegenstand für das Philosophieren sein – unter anderem auch ein populärwissenschaftlicher Text über Wirtschaft, warum nicht? Das ist der eine Punkt: Alles kann potenziell Thema für das Philosophieren werden, das müssen keine speziell philosophischen Themen sein. Der andere wichtige Punkt ist: Philosophierend schafft man nicht unbedingt Inhalte, im Gegenteil: Meistens zerlegt man das, was andere gesagt oder geschrieben haben. Hinterfragen – das ist das ideale Wort für das, was wir Philosophierende in erster Linie tun. Wir fragen nicht nur deshalb, weil wir etwas wissen wollten, sondern wir hinterfragen auch das, was andere gesagt haben und schauen, ob es unserer Kritik standhält.

Wenn ich nun also den Text von Hanno Beck und sein Verständnis des ökonomischen Denkens hinterfragen wollte, dann würde ich vor allem an zwei Punkten ansetzen:

Der erste Ansatzpunkt ist seine fixe Unterscheidung von Mittel und Ziel, wobei er die Wahl des Zwecks freistellt und dem ökonomischen Denken nur die Wahl des geeigneten Mittels zur Zielerreichung unterstellt: „Gewinne oder Effizienz sind Begriffe, die sich moralischen Kategorien entziehen, sie sollen helfen, Verschwendung zu vermeiden. Sie sind keine Ziele, sondern Mittel zur Erreichung bestimmter Ziele“. Es ist in dem Zusammenhang zu fragen, ob sich Mittel und Ziele immer so ohne weiteres von einander trennen lassen oder ob die Wahl des Mittels nicht oft auch die Wahl des Ziels bestimmt? Insbesondere beim ökonomischen Handeln ist danach zu fragen, ob es wirklich so ist, wie Hanno Beck behauptet, dass man sich zuerst, von anderen Abwägungen völlig unabhängig, sein Ziel wählt, und man sich dann überlegt, wie man dieses Ziel möglichst effizient, also mit möglichst wenig Mittelaufwand und möglichst schnell, erreichen kann – oder ob ökonomisches Denken nicht vielmehr darin besteht, dass man sich von vornherein überlegt, welche Ziele man überhaupt effizient erreichen kann? Viele Ziele könnten sich dabei an und für sich als das Gegenteil von Effizienz, nämlich als Verschwendung herausstellen, und dann würde ökonomisches Denken und Handeln darin bestehen, diese Ziele auszuschließen oder sie zu vermeiden. Die philosophische Aufklärung könnte hier darin bestehen, den Glauben der Menschen in die Unfehlbarkeit der (sprachlichen) Logik ein wenig zu untergraben, denn die Argumentation von Hanno Beck scheint darauf zu fußen, dass er den LeserInnen die scheinbar unfehlbaren (sprachlichen) logischen Kategorien von Mittel und Zweck (oder Mittel und Ziel) präsentiert, die seine Argumentation zu klären und abzusichern scheinen. Das tun sie aber nicht, wenn wir nicht mit blindem Glauben an die Sprache vorgehen, sondern über die Sache selbst nachdenken.

Ein anderer interessanter Punkt in diesem (Mittel und Ziel-)Zusammenhang wäre übrigens zu bedenken, dass sich ökonomisches Denken und Handeln ja immer innerhalb eines Systems von mehreren oder sogar sehr vielen Akteuren vollzieht. Wenn man diesen Punkt bedenkt, dann fragt sich, ob ökonomisches Denken, so wie Hanno Beck behauptet, wirklich darin bestehen kann, sich als Einzelner oder als einzelne handelnde Gruppe danach zu fragen, wie man ein selbstgewähltes Ziel mit möglichst wenig Mittelaufwand erreichen kann - oder ob ökonomisches Denken nicht systemisches Denken sein müsste und darin bestehen würde, zu verstehen, welchen Einfluss das auf den einzelnen ökonomisch Handelnden hat, wenn andere Akteure im System ebenfalls die Lage ökonomisch zu verstehen und in der gegebenen Situation ökonomisch, also effizient, zu handeln versuchen? Und auch hier könnten sich Mittel und Ziele wiederum vermischen, denn es ist möglich, dass der Versuch aller, ökonomisch zu handeln, dem Einzelnen bestimmte Ziele ermöglicht oder sie ihm gar aufdrängt, während die Systemzusammenhänge andere Ziele als "zu teuer" erscheinen lassen.

Die Beispiele von Hanno Beck selbst legen meinen Einwand ja übrigens auch nahe. Wenn er also etwa davon spricht, dass man sich um die Kosten scheren solle, wenn man mit den Kindern auf den Jahrmarkt geht, dann fragt sich, ob die kostengünstigste Variante nicht überhaupt die wäre, mit den Kindern nicht auf den Jahrmarkt zu gehen, denn was kann man auf einem Jahrmarkt schon anderes tun, als dort Geld zu verschwenden?

Wenn aber die Mittel auch imstande sind, die Ziele nahe zu legen oder sie zu bestimmen, dann wird auch die Argumentation von Johannes Rau, von der sich Hanno Beck mit seinem argumentativen Kunstgriff der Unterscheidung von Mittel und Ziel völlig distanziert hat, gleich um vieles plausibler. Aber wie dieser Zusammenhang aussieht, das darf sich im Einzelnen ein jeder und eine jede selbst ausmalen.

Der zweite Ansatzpunkt, den ich wählen würde, findet sich ebenfalls in Hanno Becks Argumentation und ist dort eines der bestimmenden Elemente; es ist zugleich aber auch ein Element, welches Hanno Becks Sichtweise des Ökonomischen mit den traditionellen ökonomischen Theorien und der Geschichte der Ökonomie verbindet – und für mich noch nie einsichtig gewesen ist. Es geht um die Behauptung, „Effizienz“ – und daher also auch ökonomisches Denken – „bedeutet, mit knappen Mitteln sparsam umzugehen.“ Es ist das, wie gesagt, eine Behauptung, die immer wieder erhoben wird in der Wissenschaft der Ökonomie, dass nämlich ökonomisches Denken in der richtigen Verwendung von knappen Mitteln bestehe und die ich schon allein deshalb nicht nachvollziehen kann, weil ich in der Welt der Wirtschaft, wenn ich mich umsehe, nirgendwo Knappheit sehen kann, sondern eigentlich überall nur das Gegenteil von Knappheit, nämlich Überfluss und Verschwendung. Die Frage ist aber nun, wie lässt sich diese Behauptung, in der Wirtschaft gehe es überall um Knappheit, rational hinterfragen?

Vielleicht könnte man es so probieren: Es lässt sich ja nicht leugnen, dass in wirtschaftlichen Zusammenhängen immer auch Knappheit mit im Spiel ist, deshalb wäre die Frage: Wie passen Knappheit und (der von der Wirtschaft produzierte) Überfluss zusammen? Und wie kommt es eigentlich zu der Ansicht, dass wirtschaftliches Denken und Handeln so etwas wie die ordentliche Verwaltung von Knappheit sei? Mein Antwortvorschlag auf diese Fragen wäre: Innerhalb des Wirtschaftssystem, für das einzelne Wirtschaftssubjekt also, sieht es immer so aus, als ob (die eigenen) Güter knapp wären; wenn man das Wirtschaftssystem als Ganzes betrachtet, braucht hingegen von Knappheit keine Rede zu sein. Überfluss (im Ganzen) und Knappheit (im Einzelnen) lassen sich offenbar erfolgreich miteinander kombinieren. Und das Wirtschaftsystem selber ist jene "Maschine", die dieses Kunststück der Kombination von Knappheit und Überfluss zur gleichen Zeit bewerkstelligt. Wenn das richtig ist, dann wäre ökonomisches Denken nicht, wie es Hanno Beck vorschlägt, der Versuch, Verschwendung zu vermeiden, sondern ökonomisches Denken wäre das Verständnis, wie dieses Wirtschaftssystem funktioniert, das Verständnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge mit besonderer Berücksichtigung des Zusammenhangs zwischen Überfluss und Knappheit, den das Wirtschaftssystem herzustellen imstande ist.

Die Verbundenheit von Überfluss und Knappheit in der Wirtschaft ist ja an und für sich ein interessantes Thema, über das man sich auch im Buch Der Alltagsökonom an einigen Stellen wundern kann. Im Kapitel: „Warum ich zuviel für meinen Computer bezahle“ erzählt Hanno Beck von den so genannten „Kuppelgeschäften“, das sind Geschäfte, bei denen der Kunde das von ihm gewünschte Produkt nicht bekommt, wenn er nicht noch allerhand „Zusatz-Schnickschnack“ dazukauft. So verhält es sich zum Beispiel beim Computerkauf: Der Autor möchte bloß eine einfache Schreibmaschine mit Internetanschluss kaufen, aber das bietet ihm der Handel nicht an. Anstatt dessen muss er einen Computer mit hohen Rechnerkapazitäten, teurer Grafikkarte und vielen Zusatzprogrammen kaufen, die er gar nicht braucht und die das Produkt teurer machen.

Ein anderes Beispiel für ein Kuppelgeschäft sind Schallplatten oder CDs: Wir kaufen eine CD, weil uns zwei oder drei Lieder auf ihr gefallen und bekommen zwölf weitere Lieder mit, die wir eigentlich gar nicht wollen. Es sind diese „Kuppelgeschäfte“ meiner Meinung nach ein interessantes Beispiel dafür, wie die Wirtschaft es schafft, mit dem Mangel und durch den Mangel immer wieder auch Überfluss zu schaffen. Die Wirtschaft nützt bei mir den Mangel oder die Knappheit an einem Textverarbeitungsgerät aus, um mir ein Wunderding mit hunderttausend Funktionen zu verkaufen, also um mich mit Überfluss zu überschütten, genauso wie ich mir umgekehrt vorstellen kann, dass der Mangel oder die Knappheit (nämlich in Form von stetig fallenden Preisen für ihre Produkte) die Computerbranche überhaupt erst dazu veranlasst, diesen verschwenderischen Überfluss zu veranstalten, um ihn im Paketpreis (welcher höher ist als der des Grundprodukts) bei mir als Kunden unterzubringen. Es besteht also der nicht unberechtigt erscheinende Verdacht, dass Mangel, Knappheit und Sparsamkeit auf der einen Seite mit Überfluss und (unmoralischer) Verschwendung auf der anderen Seite in einem engen Zusammenhang stehen – und man also die eine Hälfte der Sache unterschlägt, wenn man behauptet, das Ökonomische bestehe nur in Sparsamkeit und klugem Haushalten.

Sparsamkeit – und damit das ökonomische Denken – scheint mir noch aus einem anderen Grund ein äußerst interessantes Thema innerhalb der Ökonomie zu sein, und zwar deshalb, weil es oft so erscheint (und auch dafür finden sich Beispiele im Buch Der Alltagsökonom, z.B. im Kapitel „Warum es Jeans zweiter Wahl gibt“), dass ein Wirtschaftssubjekt vor allem dadurch Gewinne machen kann, indem sich andere Wirtschaftsubjekte verschwenderisch (unökonomisch) verhalten oder zumindest nicht so ökonomisch (sparsam) wie dieses (wirtschaftlich) erfolgreiche Wirtschaftssubjekt, woraus sich die Frage ergibt: Wo käme denn die ganze Wirtschaft hin, wenn sich alle Wirtschaftssubjekte ökonomisch verhalten würden?

Die Verschwendung des Einen scheint oft der Gewinn des Anderen zu sein, weshalb man behaupten könnte, dass unökonomisches (verschwenderisches) Denken nicht einfach unökonomisch ist, weil es im System der Wirtschaft ja offenbar seinen notwendigen und festen Platz hat. Wir brauchen dabei nur daran zu denken, wie viele Wirtschaftszweige davon leben, dass die Menschen unüberlegt mit ihrem Geld umgehen oder es sogar absichtlich verschwenden. Ich stelle mir zum Beispiel vor, dass es keine Branche für Luxusartikel gäbe, wenn ausnahmslos jedes Wirtschaftssubjekt ökonomisch handeln würde.

Damit komme ich zu dem Schluss: Ökonomisches Denken kann darin bestehen, sparsam zu sein und Verschwendung hintanzuhalten; unökonomisches Denken und Handeln scheint aber zur Wirtschaft genauso dazuzugehören – und ein guter Ökonom wird aus diesem Grund wohl genauso versuchen, diejenigen Menschen zu verstehen, die unökonomisch und verschwenderisch handeln, wenn er ökonomisch denkt, also wenn der das Funktionieren der Wirtschaft verstehen will. Mit einem Wort, ich weiß nicht, was „ökonomisches Denken“ ist – es wird wohl deshalb sein, weil ich Philosoph bin und von Wirtschaft nichts verstehe.

 

Zum Schluss noch zwei Zitate aus aktuellen Beiträgen, anhand derer man über die Frage diskutieren könnte, ob das ökonomische System funktionieren würde, wenn alle Menschen "ökonomisch" handeln würden?

VERHEERENDE WIRKUNGEN VON "GEIZ IST GEIL"-KAMPAGNEN

„Niemand bezweifelt, dass es in Deutschland sehr niedrige Löhne gibt, von denen die betroffenen Arbeitnehmer kaum wirklich leben können. Aber leider gilt auch, dass Löhne und Gehälter die Produktivität der Beschäftigten widerspiegeln müssen, wenn die Arbeitsplätze wettbewerbsfähig bleiben sollen. Es wäre deshalb eine wirklich lohnende Aufgabe für den DGB, seinen Mitgliedern zu erklären, welche verheerende Wirkungen etwa Werbekampagnen nach der Art von „Geiz ist geil“ haben, die uns nun schon seit Jahren begleiten. Wenn Geiz beim Einkaufen so geil ist, dass immer mehr Kunden in die Billigläden laufen und nur noch nach der billigsten Marke geramscht wird, dann können deutsche Hersteller mit diesem Krieg über den Preis nur noch mithalten, wenn auch beim Lohn der Geiz die Verhandlungen bestimmt. Das gilt jedenfalls für die Hersteller von Konsumgütern, die es ohnehin seit Jahren extrem schwer haben, in Deutschland zu wettbewerbsfähigen Preisen zu produzieren. Langfristig wird diese Entwicklung auch an den Investitionsgütern nicht vorbeigehen, denn die Wettbewerber in Asien holen auch dort mit einer hierzulande immer noch vollkommen unterschätzten Geschwindigkeit auf.“

Friedrich Merz: „Illusion mit Folgen. Friedrich Merz zu den Mai-Kundgebungen in diesem Jahr“, WirtschaftsWoche vom 7.5.2007, Nr. 19.

 

MIT GELD NICHT UMGEHEN KÖNNEN

„Die Konjunktur läuft momentan sehr gut, doch immer mehr Deutsche müssen Privatinsolvenz anmelden. Nach der Prognose von Creditreform wird die Zahl der Verbraucherpleiten in diesem Jahr voraussichtlich auf den Rekordwert von 110.000 Insolvenzen steigen. […] Der Chef der Kreditauskunftei, Herbert Rödl, kommentiert das mit den Worten: „Immer mehr Menschen fehlt einfach das Wissen, wie man mit Geld richtig umgeht.“
Andererseits geht es den Unternehmen sehr gut. Die Anzahl der Firmenkonkurse sinkt signifikant, und auch die Fälle von Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsverschleppung sind deutlich rückläufig. Anscheinend sind es also die Menschen, die vermeintlich nicht mit Geld umgehen können, die auf der anderen Seite den Firmen den ganzen Ramsch abkaufen, den diese andererseits niemals verkaufen würden, und sie damit vom Konkurs bewahren. Die Wirtschaft ist also ein viel schwierigeres und komplexeres Gebilde als man das gemeinhin glauben könnte. […]
Allgemein ausgedrückt kann man daher sagen: Würden die Menschen tatsächlich mit Geld umgehen können, dann würden die Firmen Pleite machen. Da die Firmen jedoch nicht Pleite machen, können die Menschen nicht mit Geld umgehen. So funktioniert die Wirtschaft! Wir sollten also „Hosianna!“ rufen.“

Bernd Niquet: „Die dummen klugen Deutschen“, von www.yeald.de, Zugriff vom 20.6.2007.

 

Und noch ein weiteres Zitat über den Effekt von Effizienz:

AUSWIRKUNG VON EFFIZIENZ IN DER ARBEITSWELT

"So berichtet in Bezug auf die Verhältnisse der Arbeitnehmer zueinander Frau Kleiner, die bereits erwähnte Arbeiterin in einem Pharmakonzern, von "Aggressionen unter den Arbeitskollegen", woraufhin der Interviewer fragt, ob die Solidarität in ihrer Arbeit denn verschwunden sei (Schultheis, Vogel und Gemperle 2010, S. 164). Frau Kleiner antwortet: "Das [Solidarität] ist verschwunden. [...] Also Kollegialität ist nicht mehr" (ebd.) Nachdem der Interviewer weiterfragt und sich nach der Kollegialität in früheren Zeiten erkundigt, antwortet sie: "Die [Kollegialität] wurde sehr groß geschrieben. Da hat man einander geholfen, das war nie das Thema. Jetzt ist einfach ein stures Denken, auch von den Koordinatoren her. [...] Und das finde ich nicht gut" (ebd. S. 165)
Gleiches berichtet Frau Kuka, die bereits erwähnte, alles in allem zufriedene Angestellte in einem Sozialamt: [...] dass "die Kollegialität, die menschlichen Bindungen [...] einfach viel weniger geworden sind (Schultheis und Schulz 2005, S. 156). [...] Ebenso Frau Polz, Lageristin in einem Versandhandel: "Das Betriebsklima hat sich [...] sehr verändert" und wenige Zeilen später ergänzt sie: "Das Familiäre verliert sich" (Schultheis, Vogel und Gemperle 2010, S. 28).

[...]

Nicht nur bezüglich der Verhältnisse unter den Arbeitenden, auch bei den Beziehungen zu den Kunden wird der Verlust an Solidarität schmerzlich gespürt [...]. So stellt Mona, Verkäuferin in einem Supermarkt, mit Bedauern fest, dass sie im Gegensatz zu früher heute kaum mehr Zeit findet, sich ein wenig mit den Kunden zu unterhalten, die auch ihrerseits oftmals ein Bedürfnis dazu verspüren würden (Schultheis und Schulz 2005, S. 116). Dasselbe berichtet Karl-Ludwig E., Leiter einer ländlichen Sparkasse, der konstatiert, dass das Verhältnis zu den Kunden früher viel stärker von Harmonie geprägt war (ebd., S. 146). Am stärksten wird dieser Verlust einer solidarischen Beziehung zu den Kunden bei Frau Strunk spürbar, der bereits erwähnten [...] Krankenschwester. Die Verkürzung der Zeit, die sie für die Pflege ihrer Patienten aufwenden darf, weil ihr streng genommen nur noch erlaubt ist, zu tun, was von der Krankenkasse auch bezahlt wird, führe dazu, dass sich die Patienten in höherem Maße beschweren (Schultheis, Vogel und Gemperle 2010, S. 675)."

Michael G. Festl: „Gemeinsam einsam: Entfremdung in der Arbeit heute. Versuch einer empirisch regulierten normativen Theorie“, Zeitschrift für Praktische Philosophie, Band 1, Heft 1, 2014, S. 51-98, hier: S. 72-73.


TREIBER FÜR DIESE ENTWICKLUNG

"Eindeutig am häufigsten wird der gestiegene Druck durch die Vorgesetzten als Grund dieses Wandels genannt. Dieser mache sich durch die Einführung von Kennzahlen zur Leistungsmessung und den ständigen Versuchen zur Erhöhung des Outputs bemerkbar.

[...]

Als zweiter Treiber für den Wandel des Arbeitsumfeldes von solidarischen zu intrumentellen Beziehungen wird die Einstellung von vielen jungen Arbeitskollegen genannt, welche Solidarität amm Arbeitsplatz gar nicht mehr wünschen würden.

[...]

Der dritte Grund liegt, folgt man den Interviewten, in der Einführung der Leiharbeit. Diese scheint einen Keil zwischen die Kollgen zu treiben, auf dessen einer Seite die Festangestellten und auf dessen anderer die Leiharbeiter stehen."

(Ebd., S. 75-76, Hervorhebungen von mir, philohof)

 

15. Mai 2007


© helmut hofbauer 2007