Ökonomie
und Shoppingmentalität
Warum
Geldverschwendung oft erfolgreicher ist als Sparen und Anlegen
Eine
Rezension von: Sophie Kinsella: Confessions of a Shopaholic.
Black Swan, London 2009 (2000).
"I
dreamed of being a millionaire,
spending my money like a drunk cowboy - and wasting it.
Now I dream of collecting my unemployment
just when I've found somewhere to lay my head."
(Freddie
Robinson: "Changing dreams" (1973))
1.
Finanzthemen existieren für die meisten Menschen schlicht
nicht
Ich
selbst bin ja ein eher ökonomischer Typ, ich tendiere
zum Ökonomischen.
Aus dem Grund interessiert mich, wie die Gegenseite tickt.
Wie funktionieren nichtökonomische Menschen?
Was
mich aber insbesondere interessiert, das ist die Feindschaft
gegen das Ökonomische, die spontane Ablehnung und der
Hass gegen ökonomische Denk- und Verhaltensweisen,
denen auch ich immer wieder in den Reaktionen meiner Mitmenschen
begegne. Weswegen ich mich mittlerweile zurückhalte,
anderen Menschen gegenüber ökonomische Gedanken
zu äußern. Ich habe einfach lernen müssen,
dass sie nicht unkontroversiell sind. Obwohl man denken
würde, und die Wirtschaftwissenschaften es annehmen,
dass alle Menschen sich ökonomisch verhalten.
Aber
weit gefehlt. Sophie Kinsella beschrieb in ihrem Roman Confessions
of a Shopaholic eine Protagonistin, Rebecca Bloomwood,
in London, die mit frischem Universitätsabschluss gerade
ihren ersten Job hat (als Finanzjournalistin beim Journal
„Successful Savings“) und infolge ihrer Shoppingsucht
auf dem schnellsten Weg in Richtung Privatkonkurs unterwegs
ist.
Die
zentrale Szene in dem ganzen Buch ist aus meiner Sicht folgende,
deren Hintergrund ich kurz erklären muss: Rebecca ist
ins Fernsehen gekommen, in eine Talkshow („Morning
Coffee“), nachdem sie einen Artikel in der Boulevardzeitung
„Daily World“ veröffentlicht hat, in dem
sie darstellt, wie ihre Nachbarn, Martin und Janice Webster,
von der Firma Flagshiff Life betrogen worden sind.
Sie
hatten bei Flagshiff Life über viele Jahre in einen
Investmentfonds eingezahlt. Als Flagshiff Life von einem
anderen Unternehmen übernommen wurde, wäre eine
außertourliche Zahlung in der Höhe von 20.000
Pfund an die Websters fällig geworden. Aber die Firma
ersparte sich die Zahlung, indem sie die Websters kurz vorher
einlud, den Investmentfond zu wechseln und ihnen im Gegenzug
dafür ein kleines Werbegeschenk anbot. Die Websters
vertrauten ihrem Anlageberater, bekamen eine Uhr und verloren
20.000 Pfund.
Die
Situation in der Fernsehtalkshow ist nun die, dass die beiden
Sendungsmoderatoren, Emma und Rory, ebenso verblödet
sind wie ihr Publikum vor den Fernsehgeräten und Finanzthemen
unverständlich, weil „abstrakt“ und „technisch“,
finden. Was macht nun Rebecca, wie erklärt sie diesen
Leuten die Relevanz der Vorkommnisse?
“It
all sounds a bit technical for me,” he says
with a little laugh. “Bit complicated.”
“OK, let’s put it another way,”
I say quickly. “Let’s... […] suppose
I’m in a clothes shop!” I open my eyes
again. “I’m in a clothes shop, and I’ve
chosen a wonderful cashmere Nicole Farhi coat. OK?”
“OK,” says Roy cautiously.
“I love Nicole Farhi!” says Emma, perking
up. “Beautiful knitwear.”
“Exactly,” I say. “OK, so imagine
I’m standing in the checkout line, minding my
own business, when a sales assistant comes up to me
and says, “Why not buy this other coat instead?
It’s better quality than this one – and
I’ll throw in a free bottle of perfume.”
I’ve got no reason to distrust the sales assistant,
so I think, wonderful, and I buy the other coat.
“Right,” says Rory, nodding. “With
you so far.”
“But when I get outside,” I say carefully.
“I discover that this other coat isn’t
Nicole Farhi, and isn’t real cashmere. I go
back in – and the shop won’t give me a
refund.”
“You were ripped off!” exclaims Rory,
as though he’s just discovered gravity.
“Exactly,” I say. “I was ripped
off. And the point is – so were thousands of
Flagstaff Life costumers. […]”
(S. 282) |
Richtig:
Sie tut nicht mehr als den Betrug aus der Welt des Sparens
und Investierens in die Welt des Einkaufens zu transferieren.
Denn auch beim Einkaufen kann man reingelegt werden.
Für
mich ist diese Passage aus folgendem Grund erhellend: Der
Grund dafür, dass Finanzthemen vielen Leuten „abstrakt
und technisch“ erscheinen (wie Rory klagt), liegt
nicht darin, dass sie schwerer zu verstehen wären (oder
dass man dafür Mathematik bräuchte), sondern darin,
dass sie in diesem Bereich keine Erfahrungen haben. Im Bereich
des Einkaufens haben sie Erfahrungen, deshalb ist das Beispiel
von Rebecca für sie unmittelbar verständlich.
Aber dass man Geld sparen und anlegen könnte, erscheint
ihnen sinnlos und unverständlich.
Finanzthemen
sind für sie nicht deshalb unverständlich, weil
sie schwierig wären, sondern weil sie ein Nichtthema
sind. Es ist das ein Lebensbereich, in welchem ein „normaler“
Mensch weder etwas sucht noch zu finden hofft, weshalb er
meint, nur merkwürdige Außenseiter würden
sich damit beschäftigen.
Rebecca
zeigt durch ihr Beispiel vom Kauf eines Nicole Farhi-Mantels,
dass es so ist: Man kann im britischen Fernsehen offenbar
davon ausgehen, dass die Zuschauer wissen, was ein Nicole
Farhi-Mantel ist (Ich weiß es nicht.), aber man kann
nicht davon ausgehen, dass sie verstehen, dass eine Familie
um 20.000 Pfund geprellt worden ist, indem die Investmentgesellschaft
ihnen riet, den Fonds aufzugeben, der zu einer Sonderzahlung
berechtigte.
2.
Wertzuwachs durch Kaufen
Was
ich aus Kinsellas Buch gelernt habe, ist, dass sich Shoppingcharaktere
einen Wertzuwachs ihrer eigenen Person erkaufen möchten.
Das ist an sich noch nicht überraschend, sagt doch
die Wirtschaftstheorie, dass jeder Mensch nur dann etwas
kauft, wenn ihm persönlich die Ware mehr wert ist als
das Geld, das er dafür ausgibt.
Das
trifft übrigens auch für den ökonomischen
Menschen zu, mit dem Unterschied allerdings, dass er seinen
Besitz in seinem Geldvermögen sieht, weshalb ihn jede
Geldausgabe ärmer macht bzw. von seinen finanziellen
Zielen entfernt. Für den Shoppingmenschen hingegen
macht Geldsparen und –anlegen keinen Sinn, weil er
nicht daran glaubt; diese Alternative ist ihm also versperrt.
Es
ist leicht verständlich, um ein Beispiel zu nennen,
das ich mal in Zusammenhang mit Warren Buffett gelesen habe,
dass es einem schwer fällt, 10 Dollar für einen
Haarschnitt auszugeben, wenn man weiß, dass man aus
diesen 10 Dollar durch Geldanlage innerhalb weniger Jahre
100 oder sogar 1000 Dollar machen könnte. Wenn man
diese Möglichkeit hingegen nicht für realistisch
hält, dann gibt man sein Geld lieber aus, denn es bringt
wenig Zinsen, wenn man es in die Bank legt und zugleich
wird sein Wert von der Inflation aufgefressen.
Also
gibt der Shoppingmensch es aus. Bei der Erlangung eines
persönlichen Wertzuwachses helfen ihm Marken. Mir war
diese Funktion der Marken nicht klar gewesen. Für mich
waren Marken bislang nur Qualitätsversprechen der Unternehmen
gewesen, denen ich wenig Glauben schenke, weil in der Praxis
heute ohnehin alles „Made in China“ ist. Für
den Shoppingmenschen hingegen ist die Marke offenbar so
etwas wie ein Preisschild für Eingeweihte: Ein jeder
Mensch, der sich mit Markenkleidung beschäftigt, sieht
auf den ersten Blick, dass jemand teuer angezogen ist.
Rebecca
Bloomwood ist sich immer der Marken bewusst, die sie trägt,
und sie bezieht ihren Selbstwert daraus:
Das
Zitat zeigt, dass zu dem Zweck der Wertsteigerung durch
Kauf von Markenklamotten auch eine soziale Infrastruktur
notwendig ist, ebenso wie ja die Marken selbst auch Elemente
dieser sozialen Infrastruktur sind. Aber zusätzlich
gehören dazu offenbar auch Zeitschriften, die den Menschen
anbieten, das Wahrnehmen und Denken in Marken einzuüben.
Wobei das eine Form der Wahrnehmung ist, in der man sich
selbst aus der Perspektive anderer Menschen sieht.
Denn
für einen Shoppingmenschen ist ja Kleidung nicht einfach
nur was zum Anziehen. Es genügt also nicht, dass sie
kleidet (also den Körper bedeckt). Sondern sie soll
die anderen Menschen dazu anregen, einen zu bewundern. Der
Markenwert ist weder der Tauschwert noch der Gebrauchswert
von Kleidung, sondern noch einmal ein anderer Wert, der
in der Wirtschaftstheorie keine Berücksichtigung findet:
Er ist der Wert, der den Wert einer Person nach außen
hin sichtbar macht.
Für
den ökonomischen Menschen ist Kleidung ja einfach „Plunder“
(Nomenklatur des Finanzjournalisten Tim Schäfer). Zum
Plunder gehören auch große Autos, Wohnungsausstattung
und Luxusgüter. Also alles, bei dem der Shoppingmensch
in Bewunderung ausbricht. Für den ökonomischen
Menschen ist das nur etwas, das sich abnutzt und das man
abstauben muss.
Das
ist kein Wunder, für den ökonomischen Menschen
sind Markengegenstände eben keine Markengegenstände.
Er kauft sie für sich selbst und berücksichtigt
daher nur ihren Gebrauchswert. Wenn Rebecca Bloomwood hingegen
einen Denny und George-Schal kauft (Das ist offenbar eine
Marke, die von Sophie Kinsella erfunden wurde.), dann deshalb,
weil sie mit im assoziiert werden möchte: „People
will refer to me as the Girl in the Denny and George scarf.“
(S. 22)
Der
Shoppingmensch kauft, um dadurch mehr zu erscheinen, als
er ist. Er möchte in den Augen der Anderen mehr gelten,
dieses Ziel aber nicht durch Leistung erreichen, sondern
dadurch, dass er in den Kleidern eines Gewinners herumspaziert.
Das ist der Sinn der Übung beim Einkaufen.
3.
Gegenseitige moralische Vorwürfe
Jetzt
kommen wir zu den praktischen Folgen dieser beiden entgegengesetzten
Einstellungen zum Geld. Der ökonomische Mensch und
der Shoppingmensch halten einander gegenseitig aus unterschiedlichen
Gründen für unmoralisch. Wobei ich persönlich
nur die Vorwürfe kenne, die mir von meiner mitmenschlichen
Umwelt als ökonomischer Mensch gemacht werden, während
ich mir erst schrittweise darüber klarer werde, was
mir an den Shoppingmenschen missfällt.
Ein
solcher Vorwurf, der mir wiederholte Male von einem Freund
gemacht wurde, lautet: „Sei doch nicht so gierig!
Investiere lieber mal in neue Kleidung!“
Das
Erste, woran ich bei dieser Aussage hängenbleibe, ist:
„Aber Kleidung ist doch keine Investition! Kleidung
ist eine Konsumausgabe!“
Aber
es scheint unter den Shoppingmenschen weitverbreitet zu
sein, Konsumausgaben für Investitionen zu halten. Auch
Rebecca Malone hält den Kauf von drei Sonnenbrillen
der Marke NK Malone für eine Investition: „People
will call me the Girl in the NK Malone shades. […]
Oh this is such an investment.“ (S.316)
Noch
dazu glaubt sie, Geld zu sparen, weil die drei Brillen von
420 Pfund auf 200 Pfund verbilligt sind. Ich würde
diesen Kauf auch nicht als Sparmöglichkeit auffassen,
sondern ihn angesichts der Tatsache, dass sie schon eine
Sonnenbrille (Armani) besitzt, als überflüssig
bezeichnen. (Die bekannte Redewendung aus der Werbung: "Nimm
drei, zahl zwei und spare X%", ist nicht wirklich ökonomisch,
sie erscheint nur so aus Shoppingsicht. Ein ökonomischer
Mensch würde nicht glauben, dass er etwas spart, wenn
er etwas kauft, das er nicht braucht.)
Noch
mehr aber sollte mich wahrscheinlich der erste Teil des
Vorwurfs meines Freundes stören: Warum sollte ich gierig
sein? Ein Mensch mit ökonomischer Orientierung schränkt
sich ein, um Handlungsspielräume daraus zu gewinnen,
dass er weniger ausgibt, als er einnimmt. Wer hingegen mehr
in den Augen seiner Mitmenschen erscheinen will, hat Geltungssucht.
Passt zu diesem Bestreben der Vorwurf der Gier nicht viel
besser als zu demjenigen Menschen, der seine drei Kreuzer
lange in der Hand dreht, bis er sie ausgibt?
Das
würde natürlich der Shoppingmensch nicht so sehen,
denn gierig kann doch schließlich nur derjenige sein,
der nach Geld strebt. Das ist ein Punkt, an dem die Shoppingcharaktere
zu den reinsten moralischen Engeln werden: Oft drücken
sie ihre Abscheu gegenüber Geld aus und sehen es als
uneigennützige Großzügigkeit, dass sie es
im Kaufakt hergeben.
Zu
dumm, dass sie immer mehr Geld brauchen, um es beim Shopping
auszugeben. Das ist wiederum ein Punkt, an dem der ökonomische
Mensch dem Shoppingmensch einen moralischen Vorwurf machen
würde. Der Shoppingmensch hat keine Kontrolle über
sich. Er häuft immer mehr Schulden an, bis ihm andere
Menschen aus seiner katastrophalen Lage heraushelfen müssen.
Im Fall von Rebecca Bloomwood kommen noch all die Briefe
hinzu, die ihr Bankberater und Mitarbeiter von Kaufhäusern,
bei denen sie Kundenkarten hat, schreiben, um sie auf ihre
überzogenen Konten hinzuweisen und die sie ungelesen
wegwirft oder mit Lügen beantwortet.
Der
entsprechende Vorwurf der Shoppingmenschen an den ökonomischen
Menschen lautet: „Du bist asozial.“ Und das
ist natürlich nicht zu verleugnen: Allein wenn ein
Mensch sich eine Übersicht schafft über seine
Einnahmen und Ausgaben mit dem Ziel, weniger auszugeben
als einzunehmen, sieht er sich allein; er sieht sich als
Individuum; er überlegt, wie er mit sich selbst zurechtkommt.
Ein Mensch, der sich ökonomisch verhält, macht
seine Geldangelegenheiten mit sich selber aus. Das ist asozial,
denn er erwartet keine Hilfe von anderen Menschen, sondern
orientiert seine eigenen Bedürfnisse an seinen eigenen
finanziellen Möglichkeiten.
Ist
das eigentlich je beschrieben worden, dass das Ökonomische
asozial ist? Die Ökonomie ist die Hauswirtschaftslehre
(von griech. "oikos" - das Haus). In ihr versucht
sich das Haus so zu organisieren, dass es Autonomie gegenüber
seiner Umwelt gewinnt und genug Vorräte ansammelt,
um über längere Mangelperioden (klassisch: den
Winter) zu kommen. Sozialdemokraten sind üblicherweise
Keynesianer, sie leben gern auf Kredit - und sind also Shoppingmenschen,
sie sind nicht ökonomisch orientiert.
Im
Grunde ist das wohl schon alles, was ich in diesem Text
sagen will: Wenn du danach strebst, ein eigenständiger,
selbstbestimmter Mensch zu werden, dann sei dir bewusst,
dass das asozial ist. Alleine die Richtung dieses Strebens,
das Ziel dieses Wunsches ist asozial. Und die Menschen werden
dich dafür hassen. Von daher kommt der Hass vieler
Menschen gegen das Ökonomische. Rebecca Bloomwood in
Kinsellas Roman dagegen verhält sich völlig verantwortungslos,
und man erwartet als Leser, dass erzählt wird, wie
sie für ihr Verhalten bestraft wird. Anstattdessen
erzählt der Roman davon, wie sie dafür belohnt
wird, wie alle sie mögen und sie schlussendlich durch
die menschliche Gemeinschaft in Form der britischen Fernsehzuschauer
gerettet wird: Der gute Mensch, so scheint die Botschaft
zu sein, ist der Schuldner - er verbindet sich durch seine
Schulden mit den anderen Menschen.
Vorwürfe
an den ökonomischen Menschen:
- Du
bist gierig!
- Du
willst mehr Geld haben!
-
Du „investierst“ nicht in dich!
-
Du bist asozial!
Vorwürfe
an den Shoppingmenschen:
- Du
bist geltungssüchtig!
- Du
willst mehr erscheinen, als du bist!
-
Du hast dich nicht unter Kontrolle!
-
Du bringst dich in eine missliche Lage und erwartest von
den Anderen, dass sie dich raushauen!
4. Über die ökonomische Sinnhaftigkeit
der Shoppingonomie für den Einzelmenschen
Dem
ökonomischen Menschen erscheint die Shoppingeinstellung
als der schnellste Weg in den finanziellen Ruin. Man kann
allerdings die Frage stellen, unter welchen Umständen
sie dennoch funktionieren kann. Die Antwort ist im Grund
ganz einfach: Sie funktioniert dann, wenn man ein Mensch
ist, der beliebt genug ist, sodass andere Menschen bereit
sind, ihm zu helfen, sobald sich die Schuldenschlinge um
seinen Hals zuzieht.
Hier
teilt sich die Shoppingeinstellung in weibliche und männliche
Strategien. Denn Rebecca Bloomwood als attraktive Londonerin
in ihren zwanziger Jahren hätte zum Beispiel die Möglichkeit,
einen reichen Junggesellen zu heiraten. Sie versucht das
auch einmal, indem Sie mit Tarquin, dem Cousin ihrer Mitbewohnerin
Suze ausgeht, der ein Landgut in Schottland im Wert von
25 Mio. Pfund geerbt hat. Doch Tarquin ist kein Shopper;
er bevorzugt es, auf dem Pferd zu reiten, mit den Hunden
unterwegs zu sein und Wagneropern zu hören. Rebecca
mag weder Pferde, noch Hunde noch Wagneropern. Tarquin trägt
ein uncooles Jackett und hat ein altes graues Scheckbuch,
dem man es nicht ansieht, dass er Millionär ist. (Er
legt offenbar keinen Wert darauf.) Rebecca weist ihn zurück,
er erscheint ihr als ein komischer Kauz.
Am
Ende des Romans löst sie ihre Geldprobleme dadurch,
dass sie ein Engagement im Fernsehen bekommt, doch ihren
reichen Junggesellen bekommt sie auch. Es ist das Luke Brandon,
ein Jungunternehmer mit einem Nettowert von 10 Mio. Pfund.
Diese Geschichte wird in diesem Buch nicht fertigerzählt,
aber wir können davon ausgehen, dass Luke, wenn er
Rebecca heiratet, sich ein Loch in der Geldbörse einhandelt.
Denn aus ökonomischer Sicht lässt sich Shoppingsucht
nur dadurch heilen, dass man dauerhaft weniger Geld ausgibt
als man einnimmt. Nicht aber dadurch, dass man noch mehr
Geld zuführt. Denn dadurch wird das Problem nur temporär
gelöst; bald gewöhnt sich der Shoppingmensch an
die größeren, zur Verfügung stehenden Geldbeträge
und gibt immer größere Summen aus.
Es
ist die Frage, ob es ein gutes Geschäft für Luke
ist, eine Frau zu bekommen, die eigentlich keine andere
Eigenschaft hat, als dass sie Geld ausgibt für Sachen,
die sie nicht braucht.
Manchmal
findet Rebecca durchaus den Kontakt zur Realität und
sieht sich, wie sie wirklich ist (aber infolge ihres Erfolgs
im TV muss sie es sich nicht wirklich eingestehen):
„I
simply can't tell my kind, loving parents that their
so-called successful daughter with her so-called top
job is in fact a disorganized, deceitful mess, to
her eyeballs in debt." (S. 225-6)
|
Das
"Märchen", von dem dieses Buch erzählt,
der Wunschtraum, von dem offenbar viele Menschen gern Erzählungen
hören, besteht darin, dass man die Konsequenzen für
das eigene Handeln nicht tragen muss. Der unangenehme Termin
mit dem Bankberater Derek Smeath von der Endwich Bank liegt
schon unmittelbar vor einem, aber man wird auf märchenhafte
Weise noch einmal davor gerettet - und zwar dadurch, dass
man jemandem (Tarquin Cleath-Stuart, Luke Brandon oder dem
britischen Fernsehpublikum) gefällt.
Die
Strategie des männlichen Shoppingcharakters lautet
üblicherweise: Karriere. Karriere meint Leitungspositionen
in einer großen Institution, in denen man viel verdient
und auch viel ausgibt, um seinen Lebensstandard zu demonstrieren.
Man hat dann beispielsweise ein großes Haus und wenig
Zeit, um dort zu sein. Im Grund ist es dieselbe Strategie
wie bei den Frauen, die heiraten wollen: Auch wenn man einen
besseren Job haben will, macht man sich abhängig von
anderen Menschen. Man zieht sich gut an, um diesen Menschen
zu gefallen und hofft, dass sie einem den gewünschten
Job geben werden.
Da
der Zinseszins langsam wirkt, sodass man erst nach 30-40
Jahren Geldanlage signifikante Vermögenszuwächse
erhält, sind eigentlich die Shoppingmenschen zumeist
ihr ganzes Berufsleben lang den ökonomischen Menschen
wirtschaftlich weit voraus. Denn es ist auf kurze Sicht
weit lukrativer, anderen Menschen zu gefallen und von diesen
dafür finanzielle Rekompensationen zu erhalten als
zu sparen und zu investieren.
Es
ist für eine junge Frau sinnvoller, ihr Geld für
Markenkleidung und Make-up auszugeben, um dann einen 10
Mio. Pfund schweren Junggesellen zu heiraten als zu sparen
und zu investieren. Es muss nur klappen. Ebenso ist es für
einen jungen Mann sinnvoller, sein Geld für einen MBA,
einen schnittigen Anzug und ein großes Auto auszugeben,
um damit eine Führungsposition zu erhalten, in der
er jährlich 100.000 Euro netto verdient als aus einem
Gehalt von 2.500 Euro netto monatlich 1.500 Euro zu sparen
und zu investieren. Man muss nur der Typ dafür sein.
Es
ist ja nicht ohne Grund, warum das Shoppingonomische das
Ökonomische in unserer Gesellschaft überwiegt.
Die einzige Crux bei der Sache ist: Du musst ein Mensch
sein, der in der Lage ist, von anderen Menschen zu bekommen,
was er will. Wenn du das nicht schaffst, dann wirst du mit
der Shoppingeinstellung scheitern. Wenn du glaubst, dass
du auch, wie Rebecca Bloomwood, jederzeit fürs Fernsehen
entdeckt werden kannst, dann kannst du den Shoppinglebensstil
pflegen. Die ökonomische Einstellung funktioniert immer,
denn ihr Inhalt besteht ja in nichts mehr, als dass man
sich auf seine Möglichkeiten beschränkt.
Aber
wahrscheinlich liegt es auch im Wesen von menschlichen Gemeinschaften,
dass die Shoppingmentalität funktioniert und moralisch
positiv aufgenommen wird: Wenn jemand von den anderen Menschen
viel Geld erhält, weil er beliebt ist oder in hohem
Ansehen steht – was kann man sich Positiveres vorstellen?
Es entspricht dem tierischen Reaktionsmuster, dass einer
sich durch körperliche Stärke zum Anführer
aufschwingt und dafür von jeder Beute als erster fressen
darf.
Vielleicht
kommt der moralische Anschein, den die Shoppingeinstellung
genießt, ja auch von daher: Die Leute meinen vielleicht
- halbbewusst -, wer viel für die Gemeinschaft leiste,
der solle auch von ihren Gütern am meisten zugeteilt
bekommen. So hat am Ende derjenige, der von den Anderen
lebt, leben muss, weil er nicht haushalten kann, möglicherweise
einen besseren Ruf, als derjenige, der seine Mitmenschen
nicht mit seinen eigenen Geldproblemen behelligt, weil man
vermutet, dass derjenige, der für sich bleibt, ein
Menschenfeind ist.
Grundsätzliche
Unterschiede zwischen dem ökonomischen Menschen und
dem Shoppingmenschen:
Der
ökonomische Mensch:
- kauft
Gegenstände für sich selbst ein, um sie zu gebrauchen;
- sieht
sein Vermögen in seinem Geldvermögen oder geldwerten
Vermögen;
- macht
sich seine ökonomische Lage mit sich selber aus;
- verhält
sich ökonomisch, um seine Freiheit und Unabhängigkeit
von anderen Menschen zu steigern.
Der
Shoppingmensch:
- kauft
Gegenstände mit Blick auf andere Menschen ein, um
sie zu beeindrucken;
- sieht
seinen Wert in den Markenprodukten, die er besitzt;
- ist
vollkommen auf andere Menschen bezogen;
- bringt
sich in Abhängigkeit von anderen Menschen.
(3.4.2018) |