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Dissertation: Bezugspunkt Gesellschaft

Was ist eigentlich Ethik?

 

Auch bei diesem Begriff möchte ich meinen Vorschlag wiederholen, doch nicht immer auf die Herkunft des Begriffs zu starren, sondern auf seinen gegenwärtigen Gebrauch zu achten. Damit man nicht durch genaues Studium erfasst, was der Begriff lang schon nicht mehr bedeutet, sondern auffasst, welche Bedeutung er erst jetzt angenommen hat.

Auf der Titelseite der polnischen Zeitung „Gazeta wyborcza“ vom 9. April 2009 gab es einen Artikel über eine große polnische Bank, deren Eigentümer aber eine nichtpolnische Bank ist, die einem Teil ihrer Mitarbeiter die Prämie für das Jahr 2008 aberkannte, weil sie ihre Verkaufsstatistiken auf „nichtethische Weise“ verbessert hatten. Die Bankangestellten berichteten von großem Druck von Seiten ihrer Vorgesetzten, die Anzahl der verkauften Finanzprodukte zu steigern dergestalt, dass sie sich jeden zweiten Tag im Zimmer des Vorgesetzen rechtfertigen mussten, warum sie dieses oder jenes Finanzprodukt nicht hatten verkaufen können. Schließlich verkauften die Bankangestellten die Finanzprodukte der Bank ihren Familienangehörigen und Freunden oder sogar untereinander, um die festgesetzten Verkaufsziele zu erreichen. Die Bank reagierte darauf mit der Streichung der Boni mit der Rechtfertigung, auf diese Weise hätten die Angestellten auch die Bank betrogen.

Man kann sich nun anhand dieses Beispiels überlegen, was „Ethik“ bedeutet: Ein Unternehmen setzt seine Mitarbeiter unter psychischen Druck und Angst um den Arbeitsplatz; die Mitarbeiter versuchen diesem Druck standzuhalten und mit ihm zu leben; am Ende werden sie für diesen Versuch, diesem Druck standzuhalten durch die Streichung ihrer Boni bestraft – ihr Verhalten war nichtethisch gewesen.

Versuchen wir ein Gedankenexperiment, das freilich gar nichts mit unserem Beispiel zu tun hat. Lügen ist unethisch, darauf werden wir uns alle einigen können. Ein Mensch wird gefoltert, um irgendwelche Informationen von ihm zu erpressen, die er aber nicht hat. In seiner Not lügt er; nach der Folter wird ihm die nichtethische Verhaltensweise der Lüge zum Vorwurf gemacht. Aber die Bankangestellten sind ja nicht gefoltert worden – man sieht, das Gedankenexperiment hat überhaupt nichts mit unserem Beispiel zu tun.

Was ist also Ethik gemäß diesem Beispiel? Ethik ist eine mögliche Rechtfertigung für Unternehmen zur Bestrafung ihrer Mitarbeiter für deren Unfähigkeit, den auf sie von Seiten der Unternehmensleitung ausgeübten psychischen und sozialen Druck auszuhalten. Wenn also Menschen unter Druck gesetzt werden, kommt Ethik zum Vorschein, dann zeigt sich, ob sie sich ethisch verhalten oder nicht. Wenn das richtig ist, könnte man Ethiktests entwickeln, in welchen die Menschen künstlich unter Druck gesetzt werden um herauszufinden, ob sie sich ethisch verhalten oder nicht. Wenn sie sich bis zu einem bestimmten Druck ethisch verhalten, könnte man den Druck erhöhen und bei einem jeden Individuum exakt bestimmen, ab welchem Druck das ethische Verhalten aufhört. Durch Erhöhung des Drucks könnte man auch gezielt nichtethisches Verhalten herbeiführen, was eine bessere Prognose ethischer menschlicher Verhaltensweisen ermöglicht und somit im Dienste der Ethik steht. Druck auf Menschen auszuüben ist selbst freilich nicht unethisch, solange er sich in den von Medizinern und Psychologen bestätigten nicht gesundheitsschädlichen Grenzen hält. Außerdem stehen Menschen immer unter Druck, Schule, Gesellschaft und die Notwendigkeiten des täglichen Lebens üben auf jeden Menschen Druck aus – Druck ist also nicht per se zu verdammen.

Was zu verdammen ist, sind allein unethische Verhaltensweisen. Zu diesen zählen z.B. Folter, Zwang, Lüge, Betrug und alle anderen von Ethikkommissionen in Ethikkodices als unethische markierte Handlungen. Unethisch darf sich auch ein Unternehmen nicht verhalten, und es wird insbesondere unter den heute so wachsamen Augen der Öffentlichkeit keine unethische Verhaltensweise wagen. Nichts ist jedoch dagegen einzuwenden, Ethik als Werkzeug im modernen Management zu gebrauchen, um Mitarbeiter, die sich nichtethisch verhalten durch Aberkennung von Leistungsprämien an ihre ethischen Pflichten zu erinnern und dadurch die laufenden Kosten des Unternehmens zu senken. Die Entwicklung ethischer Standards durch Ethikkommissionen gewährleisten eine genaue Bestimmung dessen, welche menschlichen Handlungen und Verhaltensweisen als ethisch oder nichtethisch einzuordnen sind und machen dadurch die Ethik als Managementwerkzeug erst operabel und ermöglichen den gezielten Einsatz von ethischen Maßnahmen in sich nach ethischen Grundsätzen orientierenden Unternehmen und Organisationen.


17. April 2009


© helmut hofbauer 2009