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Der unüberwindliche Wunsch nach der guten Institution

Über ethische Unternehmensführung und Corporate Social Responsibility (CSR)

 

Kürzlich fand ich im von der BAWAG P.S.K Edition Literatur herausgegebenen Band MACHT RECHT GLOBAL einen interessanten kurzen Text der Philosophin Isolde Charim mit dem Titel „Ethischer Kapitalismus“, der mich aus einem ganz bestimmten Grund zum Nachdenken brachte: Die allgemeine Problemsicht vieler aktueller gesellschaftlicher Probleme (hier: der Globalisierung) liegt meiner Meinung nach darin, dass wir (die meisten Menschen), es nicht übers Herz bringen, bestimmte Gedanken zu fassen und zu akzeptieren. Zum Beispiel wünschen wir uns immer, wenn wir eine gute Tat sehen, dass es auch ein gutes Wesen gibt, das diese Tat vollbracht hat – oder wir denken (dieselbe Denkoperation umgekehrt), dass eine gute Tat in irgendeiner Weise der „Beweis“ dafür ist, dass ihr Vollbringer ein gutes „Wesen“, einen guten „Kern“ hat. Diese Denkweise bringt führt uns insbesondere dann zu Widersprüchen, wenn es sich bei den Handelnden um Organisationen oder Institutionen handelt (in ähnlicher Weise gibt es dieses Problem aber auch bei Individuen, die gesellschaftliche Funktionen erfüllen und im Sinne der gesellschaftlichen Position, die sie innehaben, handeln müssen).

Doch sehen wir selbst zu, mit welchen Begriffen Isolde Charim die Situation rund um die Entstehung der „ethischen Unternehmensführung“ schildert und wie sie der gewählte begriffliche Rahmen dazu bringt, ihre Schlussfolgerungen nur als „ambivalente Verschränkungen“ (S. 46) und als „Paradox“ (S. 47) formulieren zu können.

Isolde Charim beginnt ihre Ausführungen mit einer Bezugnahme auf Naomi Kleins Buch No Logo. Kleins Ansicht nach hat sich die Wirtschaft wesentlich dadurch verändert, dass sie die „Marke“ erfunden hat bzw. dass sie herausgefunden hat, dass sich ein zusätzlicher Margenprofit erwirtschaften lässt, wenn man eine bestimmte Ware nicht einfach als Ware, sondern als Markenware verkauft. Wenn man folgendes Zitat liest, sollte man auch daran denken, dass Wirtschaft heute nicht mehr einfach nur Wirtschaft ist, sondern Kultur (zumindest vereinnahmt sie die Kultur), und wenn man den am Ende des Zitats erwähnten „sinnstiftenden“ Charakter des Konsumierens berücksichtigt, dann erfüllt Wirtschaft heute auch zum Teil Zwecke, die früher von Religion oder Philosophie erfüllt wurden.

Die Marke

S. 40 „Wenn einem Unternehmen die Transsubstantiation seiner Waren in eine Marke gelingt, dann haben sie jene spirituelle Dimension erreicht, die sie von der „Welt der Dinge“ loslöst, wie [Naomi, Anm. H. H.] Klein schreibt. Der reine Gebrauchswert tritt zugunsten eines ganz anderen Wertes zurück. Mit dem Ding, das man kauft, erwirbt man nicht nur die Idee eines richtigen Lebens – wie etwa der berühmte Nike-Turnschuh die Vorstellung von Gesundheit und Sport verkörpert. Das Markending erlaubt zugleich auch – im Unterschied zu anderen Repräsentanten transzendenter Vorstellungen – die Teilhabe, den Vollzug der Idee. Diese wird durch die Ware konsumierbar. Anders gesagt: Konsumieren wird zu einer sinnstiftenden Tätigkeit.“

Isolde Charim: „Ethischer Kapitalismus“, in: MACHT RECHT GLOBAL. Chancen für Sicherheit und Gerechtigkeit. BAWAG P.S.K.-Edition Literatur, hg. v. Alfred Zellinger, Ueberreuter Verlag, Wien 2006. S. 39-47.

Nun kann man, wenn man ein Unbedingter oder ein Hundertprozentiger ist, die Versprechungen der Marken als Scheinversprechungen und Manipulation betrachten; die Globalisierungskritiker hätten sich jedoch, so Isolde Charim, einer anderen und wirkungsvolleren Strategie besonnen – und zwar kann man die Unternehmen, wenn sie mit ihren Marken Versprechungen machen, auch beim Wort nehmen.

Beim Wort nehmen, bei der Marke nehmen

S. 43 „Die Aktivisten von Menschenrechtsorganisationen bis zu Fair-Trade-Gruppierungen haben erkannt, dass die Marken mit ihren umfassenden Versprechungen die Achillesferse des alles durchdringenden Kapitalismus sind. Um als Marke zu funktionieren, muss sie glaubwürdig sein. Diese Glaubwürdigkeit ist das mentale Kapital, das sie angreifbar macht. Denn wenn etwa bekannt wird, dass Nike-Schuhe in Sweatshops produziert werden, wenn klar wird, dass der saubere Traum vom reinen Sport durch Kinderarbeit gewebt wird, dann funktioniert die Glaubwürdigkeit nicht. Solche Kampagnen waren erfolgreich, weil sie dort angegriffen haben, wo die Giganten verwundbar sind: Sie haben Imagekatastrophen ausgelöst. Die Antwort darauf lautete dann: ethische Unternehmensführung.“

Dieses Beim-Wort-Nehmen ist geschehen, es hat verschiedene Anti-Image-Kampagnen gegen große Unternehmen gegeben, und die Managementseite hat auf diese neue Situation einer veränderten Öffentlichkeit durch die Schaffung der sog. ethischen Unternehmensführung bzw. Corporate Social Responsibility (CSR) reagiert. Dabei handelt es sich um von Unternehmen publizierte Texte, in welchen sie freiwillige Selbstverpflichtungen eingehen und darstellen, wie sie ihre soziale, oft auch ökologische, Verantwortung auffassen. Isolde Charim kommentiert dieses Verhalten mit folgendem scharfen und witzigen Satz.

S. 44 „Das ist ein bisschen, wie wenn die Tänzer ums Goldene Kalb kurz innehalten, um sich die Zehn Gebote auf die Gesetzestafeln zu meißeln.“

Der nächste Schritt in der Argumentation ist der, dass die „ethische Unternehmensführung“ als Strategie der Unternehmen diesen die Möglichkeit gibt, die Ethik zu vereinnahmen.

Vereinnahmung

S. 45 „Nun ist es aber im Falle der Anti-Konzern-Bewegung so, dass die Wut über Produktionsverhältnisse, die sich etwa in Anti-Image-Kampagnen entlädt, dazu führen kann, dass Multis von manchen Verstößen gegen die Menschenrechte Abstand nehmen – und sich nachher mit ihrer eigenen Haltung schmücken.“

Aus der Vereinnahmung ethischer Positionen und Haltungen durch die Unternehmen und Konzerne lässt sich für diese sogar ein ethischer Mehrwert generieren, der sich in höhere Preise und höhere Einnahmen für ihre Markenprodukte umsetzen lässt.

Ethik als Teil des Markenwerts

S. 46 „Natürlich sind Multis keine ethischen Subjekte, sondern haben die Ethik vielmehr in die Kategorien des Marktes übersetzt und daraus den ethischen Mehrwert gemacht, eine Ressource für ihre Markenidentität, für ihre Glaubwürdigkeit. Ja, sie haben nun auch dies vereinnahmt, sie haben nun auch diese Quelle angezapft – aber das bedeutete auch: Die Quelle sprudelt. Wir müssen heute mit der Ambivalenz leben, dass Ethik in sozialen und ökologischen Fragen auch Teil einer Markenidentität ist.“

Charims Frage ist nun, ob diese Entwicklung gut oder schlecht ist? Und sie wird sich darüber nicht klar oder will sich diesbezüglich nicht entscheiden, weil hier möglicherweise eine Entwicklung zum Schlechteren vorliegt, die aber dennoch gleichzeitig unbestreitbar positive Folgen hat.

Charims Schlussfolgerung

S. 47 „Die Skepsis gegen die ethische Unternehmensführung lautet etwa: Sie betreiben diese nicht, um den politischen Fortschritt voranzutreiben. Ja, es stimmt sicherlich, dass ihre Beweggründe, dass ihre Motive nichtethischer Natur sind, aber die Effekte, die sie bewirken, sind es. Wird die Welt also durch die Globalisierung besser? Die Antwort darauf kann nur das Paradox als das Medium des Spätkapitalismus benennen: Wo Produkte zu Marken und Unternehmen zu Institutionen werden, steigert Umwelt- und Sozialbewusstsein den Mehrwert: Hier wird Profitdenken durch gesellschaftliche Verantwortung, Einzelinteresse durch das Allgemeininteresse, kurz – Egoismus durch Rücksicht aufs Allgemeinwohl befördert. Jenseits von Gut und Böse macht die Globalisierung die Welt besser, indem sie sie schlechter macht. Oder umgekehrt.“

Ich möchte nun meinen Vorschlag anbieten, dieses Paradox aufzulösen. Ich denke nämlich, dass Isolde Charim einen Fehlschluss begeht, wenn sie meint:

Fehlschluss

S. 46-47 „Die Kritik dieser Form der Ethik als PR hängt noch einer eindeutigen kategorialen Trennung von gut und böse an, von der wir uns verabschieden müssen.“

Das Problem, um das es sich hier dreht, liegt überhaupt nicht in der „eindeutigen kategorialen Trennung von gut und böse“ (und ist deshalb auch nicht als Vermischung oder „ambivalente Verschränkung dieser Pole zu beschreiben).

Um der Lösung auf die Schliche zu kommen, ist vielmehr zu fragen: Warum beschreibt Isolde Charim denn eigentlich den erreichten Fortschritt als ein Paradoxon? Sie tut das deswegen, weil die herkömmliche Vorstellung in den Köpfen der Menschen darauf besteht, dass man nur aus ethischen Motiven ethisch handeln kann; dass ethisches Handeln ohne ethische Motive eben kein ethisches Handeln sein kann. Diese Vorstellung ist eng verbunden mit jener anderen, dass nur ein guter Mensch (eine gute Institution) gut handeln kann. Gleichzeitig bezeugt aber das Ergebnis, zu dem Charim kommt, dass das nicht der Fall ist: Die Wirtschaft schickt sich zu ethischem Handeln an, weil sie weiterhin ihren herkömmlichen Zielen der Gewinnsteigerung folgt (und nicht indem sie diese plötzlich aufgäbe, um ein wahrhaft ethisches Subjekt zu werden).

Das Paradox lässt sich also nur dann auflösen, wenn wir die guten Handlungen von den guten Handelnden trennen: Es ist möglich, dass jemand gut handelt, ohne ein gutes Herz zu haben. Aber es fällt den meisten Menschen schwer, diese Vorstellung zu akzeptieren. Es scheint, als habe Immanuel Kant genau die Volksmeinung getroffen, als er den ersten Satz des ersten Abschnitts seiner Metaphysik der Sitten schrieb: „Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.“ Wenn wir gutes Handeln vom Handelnden trennen, dann können wir verstehen: Die Wirtschaft kann ethischer werden, ohne ethischer zu werden (d.h. sie kann dazu gebracht werden, ethischer zu handeln, ohne deshalb von ethischen Motiven durchdrungen zu werden und ohne dass sie von ihren herkömmlichen Zielen der Profitmaximierung abgeht).

Oder ich frage einmal umgekehrt: Was ist denn eigentlich das potentiell Empörende daran, wenn Unternehmen, die sich einen Corporate Social Responsibility-Kodex auferlegt haben, sich in der Folge „mit ihrer eigenen Haltung schmücken“. Nichts ist empörend daran außer dem, dass es so aussieht, als ob die Unternehmen auf diese Weise behaupteten, dass sie gut seien, dass sie ethische und gute Motive hätten. Und das wäre unrichtig. Bei weitem richtiger wäre es schon, wenn sie sich nur für ihre guten Taten loben, die sie begangen haben. Wenn sie sich dafür loben, so tun sie es zu Recht. Das Problem liegt aber mehr auf der Seite des Publikums als auf der der sich selber im besten Lichte darstellenden Unternehmen: Die meisten Menschen haben eine Art Kurzschlussschaltung im Kopf, die sie automatisch dazu bringt zu denken, diese Organisation vollbringt gute Taten, also muss es sich um eine gute Organisation (eine von ethischen Motiven durchdrungene Organisation) handeln. Dem ist aber nicht so.

Zu demselben Kurzschluss führt wahrscheinlich auch dem Wort "Wirtschaftsethik": Es klingt so, als wäre sein Ziel, die Wirtschaft ethischer zu machen. Aber die Wirtschaft lässt sich nicht ethischer machen (sie lässt sich keine ethischen Ziele einpflanzen), was aber nicht bedeutet, dass man keine ethischen Ziele in der Wirtschaft umsetzen kann (man muss sie nur in ökonomische Ziele umwandeln: wenn es etwas kostet oder einbringt, dann handelt die Wirtschaft ethisch, ökologisch oder was auch immer). Das hier Vorgebrachte hat auch absolut nichts damit zu tun, ob einzelne Unternehmer oder Manager ethische Motive haben – sie mögen sie schon haben (auch Unternehmer und Manager sind nicht alle schlechte Menschen), es geht vielmehr darum, dass ethische Motive im wirtschaftlichen Verkehr keinen Platz haben.

Meine Lösungsvorschlag ist also folgender: Das einzige reale Problem, das ich in Isolde Charims Formulierung ihres Paradoxons sehe, ist das, dass von den heutigen Menschen immer noch die meisten denken: Wenn ein Unternehmen gute Taten vollbringt, dann ist es ein gutes Unternehmen. Genau diese Denkweise führt überhaupt zu dem von Charim beschriebenen Paradox, denn einem jeden Menschen mit offenen Augen zeigt sich, dass heutige Organisationen besser handeln, ohne sich einen Deut darum zu bemühen, selbst besser zu werden (sodass man andauernd geneigt ist, ihr gutes Handeln für eine bloße PR-Maßnahme zu halten). Der wesentliche Punkt ist aber, dass ethischer Fortschritt in der Wirtschaft gar nicht anders denkbar ist: Die Unternehmen werden nicht ethischer werden, sie können nur vom Staat, von der Öffentlichkeit und den Konsumenten genötigt werden, ethischer zu handeln. Deshalb würde ich in Isolde Charims reservierte Beurteilung nicht einstimmen, sondern sagen, dass hier ganz klar ein Fortschritt vorliegt.

Nur, damit man es wirklich als Fortschritt werten könnte, fehlt etwas: Das Publikum, die Menschen müssen es auch verstehen, dass eine Organisation oder eine Institution gut handeln kann, ohne selber gut zu sein. Schaffen die Menschen das? Die einfacheren Gemüter sicher nicht, aber die gescheiteren haben gewiss schon begriffen, dass derselbe Typ von Problem ja auch in anderen Bereichen existiert, vor allem anderen in der modernen politischen Theorie: So ist ja auch beispielsweise der Staat nicht deshalb gut, weil wir ihn als unser Heimatland lieben und unser Heimatland aufgrund unserer Liebe gar nicht anders kann, als uns ein guter Vater (Vaterland) zu sein, der auf seine Kinder achtet, sondern der Staat ist deshalb soweit gut und verhält sich korrekt uns gegenüber, wie er es tut, weil es in ihm eine Unzahl von voneinander (im Idealfall ganz) unabhängiger Institutionen gibt, die einander gegenseitig überwachen und die gewährleisten, dass Fehler wieder korrigiert und Schäden behoben werden, wenn eine oder einige dieser Institutionen durch Zufall eine schlechte Führung haben (z.B. ein schlechter Politiker ist populär und wird gewählt). Auch hier also achtet man nicht auf den guten Willen der Institutionen und auf den moralischen Kern der Behörden, sondern man stellt ethisches Verhalten sekundär durch Machtbeschränkungen und gegenseitige Kontrolle her.

Anders gesagt, in einer guten Staatsverfassung gibt es für eine jede Institution eine Gegeninstitution, damit ein Machtgleichgewicht und gegenseitige Kontrolle hergestellt werden; auf diese Weise soll erreicht werden, dass am Ende als Ergebnis etwas (relativ) Gutes herauskommt, selbst wenn nicht alle handelnden Menschen oder Institutionen selber gut sind. Warum kann man das in der Wirtschaft nicht ähnlich sehen? Mir scheint der einzige Grund, der uns davon abhält, derjenige zu sein, dass die meisten Menschen einen unüberwindlichen Wunsch nach guten Organisationen und Institutionen in sich tragen. Das mag auch mit einer bestimmten Verachtung für das Individuum in der Westlichen Welt zusammenhängen: Wenn man schon den einfachen Mann von der Straße nicht achten kann, dann will man doch große und renommierte Institutionen bewundern (elitäre Privatschulen und Eliteuniversitäten, Museen, berühmte Orchester und andere Institutionen staatlicher Repräsentation, aber auch Unternehmen und Konzerne). Die gegenteilige Haltung gibt es natürlich auch: Sie besagt, Organisationen und Institutionen seien böse, und sie äußert sich im Denken vieler junger Globalisierungsgegner als der „böse Coca Cola-Konzern“ oder die „bösen Multis“.

Ich bin mir dessen bewusst, dass meine Botschaft für beide dieser Gruppen fürchterlich ist: Organisationen und Institutionen sind weder gut noch böse. Das bedeutet auch, dass man sie nicht (ethisch) verbessern kann (organisatorisch schon!) – Organisationen und Institutionen sind vollkommen unethisch. Wir sollten zu einer neuen Beurteilungsweise von Organisationen und Institutionen kommen, sie nicht länger als etwas Gutes oder Böses ansehen, sondern damit anfangen, sie neutral zu beurteilen.

Leider ist das Meiste, was heute geschieht, noch von der umgekehrten Denkweise geprägt: Eine gute Institution handelt gut und wenn eine Institution gut handelt, dann zeigt das an, dass es sich um eine gute Organisation handelt. Die meisten Menschen sind (offenbar) noch nicht in der Lage, eine Institution nach ihren Handlungen zu beurteilen und dabei den gewagten Schluss auf irgendwelche inneren ethischen Eigenschaften dieser Institution, auf ihre innere Gutheit, zu unterlassen. Wer schon einige meiner Texte gelesen hat, weiß, dass ich oft die Wissenschaft kritisiere, aber ich tue das nicht deswegen, weil ich denken würde, dass sie uns keine guten Dinge bringt (Erkenntnisse oder nützliche technische Erfindungen), sondern weil die meisten Menschen in ihr etwas sehen, das an sich selber gut ist (das ein Wert an sich ist). Ich hingegen sehe in der Wissenschaft vor allem eine große Menge an Menschen, die Wissenschaftler, die in ihr arbeiten, um sich auf diese Weise ihren Lebensunterhalt zu verdienen – keine überirdische Einheit also, die an und für sich gut wäre, sondern eine irdische Institution, die gute Ergebnisse liefern kann, wenn und solange sie gut verwaltet und kontrolliert wird. Wird solch ein sozialer Großkörper nicht gut gesteuert und kontrolliert, so kann er durchaus auch Schaden anrichten.

Das sollte nicht so schwer einzusehen sein, dennoch wird der tiefsitzende Wunsch der Menschen nach guten Institutionen heute wieder bedient, z.B. mit der Schaffung von Elite- und Exzellenzuniversitäten in Österreich und in Deutschland, indem Prestige aufgebaut und auf den äußerlichen Glanz des Namens der Hochschulen Wert gelegt wird, so als ob es möglich wäre, dass in diesen Institutionen so etwas wie ein innerer Wille zur Exzellenz in Wissenschaft und Ausbildung herrschen könnte. Warum führt man nicht anstatt dessen denselben Fortschritt herbei, den Isolde Charim in ihrem Artikel beschrieben hat: Man gesteht sich ein, dass Universitäten ganz normale (neutrale Beurteilung: weder gute, noch schlechte, noch exzellente) Organisationen oder Institutionen sind, bemüht sich nicht länger, ihnen eine andere Seele einzuimpfen und verbessert stattdessen ihr Funktionieren?

Aber das wird wohl erst möglich sein, wenn die Menschen den Unterschied zwischen einer "guten Universität" und einer "guten Universität" verstehen. Damit kann gemeint sein, dass sie einen guten Kern hat, ethische Motive und ein gutes Wesen (und diese Bedeutung wollen wir hier nicht akzeptieren), oder es kann gemeint sein, dass sie gut funktioniert und gute Ergebnisse liefert (und dazu muss sie keine gute Universität im Sinne ethischer Motive oder eines reinen Willens zur Wahrheit sein).


19. Jänner 2009

 

Unwissenschaftliche, humoristische Nachschrift zu diesem Beitrag

Aus Zufall – weil ich diesen Text gerade gefunden habe – und weil es dazupasst, möchte ich in dieser kleinen humoristischen Nachschrift eine alt-Wiener Geschichte erzählen, welche die ökonomischen Bedingtheiten ethischen Handelns im Wirtschaftsleben ein wenig veranschaulicht. Ein Schelm wäre allerdings, wer da meinte, es seien die nämlichen oder ähnliche Gründe, die Unternehmen heute dazu bewegen würden, Corporate Social Responsibility-Abteilungen einzurichten. Davon, dass das gar nicht sein kann, wird man sich bei der Lektüre des Folgenden leicht überzeugen können:

In der Erzählung „Das gerettete Wien“ von Fritz Stüber-Gunther (erschienen im Band Das gerettete Wien. Neue Großstadtskizzen. Wien 1911) tritt der Fleischhauer und Hausbesitzer Lorenz Surrm auf, welcher sein alt-Wiener Wohn- und Geschäftshaus niederreißen und anstatt dessen einen modernen Zinspalast mit mehr als doppelt so vielen Wohnungen darinnen bauen lassen möchte. Das einzige Problem dabei ist, dass er sich vom Baumeister noch einen Nachlass von 5% der Baukosten wünscht, wobei er insgeheim aber auch mit einem von 2,5% oder 3% zufrieden wäre; der Baumeister jedoch ist bislang nicht auf diesen Wunsch des Hausbesitzers eingegangen, weswegen dieser gerade dabei ist, seine Hausbaupläne schweren Herzens ganz aufzugeben.
Da kommen unvermutet zwei Herren zu Besuch, Herr Hof- und Gerichtsadvokat Dr. O. W. Krautvetter und Julius Ritter v. Ghigl-Gaglia. Herr Surrm kann sich erinnern, dass ein Bauunternehmer namens Ghigl-Gaglia, wahrscheinlich der Vater oder Großvater des Besuchers, sich in den 1860er Jahren bei der ersten Stadterweiterung Wiens nicht nur ein großes Vermögen, sondern auch den Adelstitel erworben hatte. Die beiden erzählen, dass sie einen Verein mit dem Namen „Schütz-Wien“ gegründet hätten, um künstlerisch und historisch wertvolle Häuser vor der rücksichtslosen Bauwut zu schützen, die in der Stadt gerade herrsche. Als Besitzer eines schönen Wiener Vorstadthauses erhoffen sie sich von Herrn Surm, dass er mit einem einmaligen Betrag von 1000 Kronen „Stifter“ dieses Vereins werde; daneben gebe es auch die Möglichkeiten, mit einmalig 100 Kronen als „Gründer“ dem Verein beizutreten oder mit einer Krone jährlich einfaches Vereinsmitglied zu werden. Lorenz Surrm lehnt das Ansinnen ab mit der Begründung, er sei schon bei fünfundzwanzig Vereinen.
Als Herr Surrm später am selben Tag vom Wirtshaus heimkommt, überreicht ihm seine Frau einen Brief, in welchem zu lesen ist, dass der Baumeister sich mit dem Preisnachlass von 5% einverstanden erklärt. Lorenz Surrm ist hochzufrieden, doch dann fällt ihm etwas ein: Er trägt seiner Frau auf, ihn am nächsten Tag daran zu erinnern, den Gründerbeitrag von 1000 Kronen für einem bestimmten neu gegründeten Verein bei der Postsparkasse einzuzahlen.

Warum nun will Herr Surm einem Verein beitreten, welcher die historisch wertvollen Bauwerke Wiens schützen will, nachdem er selbst soeben beschlossen hat, sein eigenes historisch wertvolles Wohnhaus durch eine Mietskaserne zu ersetzen? Wer hier einen Widerspruch sieht, der hat zu eng gedacht und muss mehr Elemente ins Blickfeld nehmen, um zur richtigen Lösung zu kommen.

(Fritz Stüber-Gunther: „Das gerettete Wien“, in: Susanne Feigl (Hg.): Wiener Humor um 1900. Edition S, Verlag der Österr. Staatsdruckerei. Wien 1986. S. 124 – 131.)


20. März 2009



© helmut hofbauer 2009