Der
unüberwindliche Wunsch nach der guten Institution
Über
ethische Unternehmensführung und Corporate Social Responsibility
(CSR)
Kürzlich
fand ich im von der BAWAG P.S.K Edition Literatur herausgegebenen
Band MACHT RECHT GLOBAL einen interessanten kurzen Text
der Philosophin Isolde Charim mit dem Titel „Ethischer
Kapitalismus“, der mich aus einem ganz bestimmten
Grund zum Nachdenken brachte: Die allgemeine Problemsicht
vieler aktueller gesellschaftlicher Probleme (hier: der
Globalisierung) liegt meiner Meinung nach darin, dass wir
(die meisten Menschen), es nicht übers Herz bringen,
bestimmte Gedanken zu fassen und zu akzeptieren. Zum Beispiel
wünschen wir uns immer, wenn wir eine gute Tat sehen,
dass es auch ein gutes Wesen gibt, das diese Tat vollbracht
hat – oder wir denken (dieselbe Denkoperation umgekehrt),
dass eine gute Tat in irgendeiner Weise der „Beweis“
dafür ist, dass ihr Vollbringer ein gutes „Wesen“,
einen guten „Kern“ hat. Diese Denkweise bringt
führt uns insbesondere dann zu Widersprüchen,
wenn es sich bei den Handelnden um Organisationen oder Institutionen
handelt (in ähnlicher Weise gibt es dieses Problem
aber auch bei Individuen, die gesellschaftliche Funktionen
erfüllen und im Sinne der gesellschaftlichen Position,
die sie innehaben, handeln müssen).
Doch
sehen wir selbst zu, mit welchen Begriffen Isolde Charim
die Situation rund um die Entstehung der „ethischen
Unternehmensführung“ schildert und wie sie der
gewählte begriffliche Rahmen dazu bringt, ihre Schlussfolgerungen
nur als „ambivalente Verschränkungen“ (S.
46) und als „Paradox“ (S. 47) formulieren zu
können.
Isolde
Charim beginnt ihre Ausführungen mit einer Bezugnahme
auf Naomi Kleins Buch No Logo. Kleins Ansicht nach hat sich
die Wirtschaft wesentlich dadurch verändert, dass sie
die „Marke“ erfunden hat bzw. dass sie herausgefunden
hat, dass sich ein zusätzlicher Margenprofit erwirtschaften
lässt, wenn man eine bestimmte Ware nicht einfach als
Ware, sondern als Markenware verkauft. Wenn man folgendes
Zitat liest, sollte man auch daran denken, dass Wirtschaft
heute nicht mehr einfach nur Wirtschaft ist, sondern Kultur
(zumindest vereinnahmt sie die Kultur), und wenn man den
am Ende des Zitats erwähnten „sinnstiftenden“
Charakter des Konsumierens berücksichtigt, dann erfüllt
Wirtschaft heute auch zum Teil Zwecke, die früher von
Religion oder Philosophie erfüllt wurden.
Die
Marke
S.
40 „Wenn einem Unternehmen die Transsubstantiation
seiner Waren in eine Marke gelingt, dann haben sie
jene spirituelle Dimension erreicht, die sie von der
„Welt der Dinge“ loslöst, wie [Naomi,
Anm. H. H.] Klein schreibt. Der reine Gebrauchswert
tritt zugunsten eines ganz anderen Wertes zurück.
Mit dem Ding, das man kauft, erwirbt man nicht nur
die Idee eines richtigen Lebens – wie etwa der
berühmte Nike-Turnschuh die Vorstellung von Gesundheit
und Sport verkörpert. Das Markending erlaubt
zugleich auch – im Unterschied zu anderen Repräsentanten
transzendenter Vorstellungen – die Teilhabe,
den Vollzug der Idee. Diese wird durch die Ware konsumierbar.
Anders gesagt: Konsumieren wird zu einer sinnstiftenden
Tätigkeit.“
Isolde
Charim: „Ethischer Kapitalismus“, in:
MACHT RECHT GLOBAL. Chancen für Sicherheit
und Gerechtigkeit. BAWAG P.S.K.-Edition Literatur,
hg. v. Alfred Zellinger, Ueberreuter Verlag, Wien
2006. S. 39-47.
|
Nun
kann man, wenn man ein Unbedingter oder ein Hundertprozentiger
ist, die Versprechungen der Marken als Scheinversprechungen
und Manipulation betrachten; die Globalisierungskritiker
hätten sich jedoch, so Isolde Charim, einer anderen
und wirkungsvolleren Strategie besonnen – und zwar
kann man die Unternehmen, wenn sie mit ihren Marken Versprechungen
machen, auch beim Wort nehmen.
Beim
Wort nehmen, bei der Marke nehmen
S.
43 „Die Aktivisten von Menschenrechtsorganisationen
bis zu Fair-Trade-Gruppierungen haben erkannt, dass
die Marken mit ihren umfassenden Versprechungen die
Achillesferse des alles durchdringenden Kapitalismus
sind. Um als Marke zu funktionieren, muss sie glaubwürdig
sein. Diese Glaubwürdigkeit ist das mentale Kapital,
das sie angreifbar macht. Denn wenn etwa bekannt wird,
dass Nike-Schuhe in Sweatshops produziert werden,
wenn klar wird, dass der saubere Traum vom reinen
Sport durch Kinderarbeit gewebt wird, dann funktioniert
die Glaubwürdigkeit nicht. Solche Kampagnen waren
erfolgreich, weil sie dort angegriffen haben, wo die
Giganten verwundbar sind: Sie haben Imagekatastrophen
ausgelöst. Die Antwort darauf lautete dann: ethische
Unternehmensführung.“ |
Dieses
Beim-Wort-Nehmen ist geschehen, es hat verschiedene Anti-Image-Kampagnen
gegen große Unternehmen gegeben, und die Managementseite
hat auf diese neue Situation einer veränderten Öffentlichkeit
durch die Schaffung der sog. ethischen Unternehmensführung
bzw. Corporate Social Responsibility (CSR) reagiert. Dabei
handelt es sich um von Unternehmen publizierte Texte, in
welchen sie freiwillige Selbstverpflichtungen eingehen und
darstellen, wie sie ihre soziale, oft auch ökologische,
Verantwortung auffassen. Isolde Charim kommentiert dieses
Verhalten mit folgendem scharfen und witzigen Satz.
S.
44 „Das ist ein bisschen, wie wenn die Tänzer
ums Goldene Kalb kurz innehalten, um sich die Zehn
Gebote auf die Gesetzestafeln zu meißeln.“ |
Der
nächste Schritt in der Argumentation ist der, dass
die „ethische Unternehmensführung“ als
Strategie der Unternehmen diesen die Möglichkeit gibt,
die Ethik zu vereinnahmen.
Vereinnahmung
S.
45 „Nun ist es aber im Falle der Anti-Konzern-Bewegung
so, dass die Wut über Produktionsverhältnisse,
die sich etwa in Anti-Image-Kampagnen entlädt,
dazu führen kann, dass Multis von manchen Verstößen
gegen die Menschenrechte Abstand nehmen – und
sich nachher mit ihrer eigenen Haltung schmücken.“ |
Aus
der Vereinnahmung ethischer Positionen und Haltungen durch
die Unternehmen und Konzerne lässt sich für diese
sogar ein ethischer Mehrwert generieren, der sich in höhere
Preise und höhere Einnahmen für ihre Markenprodukte
umsetzen lässt.
Ethik
als Teil des Markenwerts
S.
46 „Natürlich sind Multis keine ethischen
Subjekte, sondern haben die Ethik vielmehr in die
Kategorien des Marktes übersetzt und daraus den
ethischen Mehrwert gemacht, eine Ressource
für ihre Markenidentität, für ihre
Glaubwürdigkeit. Ja, sie haben nun auch dies
vereinnahmt, sie haben nun auch diese Quelle angezapft
– aber das bedeutete auch: Die Quelle sprudelt.
Wir müssen heute mit der Ambivalenz leben, dass
Ethik in sozialen und ökologischen Fragen auch
Teil einer Markenidentität ist.“ |
Charims
Frage ist nun, ob diese Entwicklung gut oder schlecht ist?
Und sie wird sich darüber nicht klar oder will sich
diesbezüglich nicht entscheiden, weil hier möglicherweise
eine Entwicklung zum Schlechteren vorliegt, die aber dennoch
gleichzeitig unbestreitbar positive Folgen hat.
Charims
Schlussfolgerung
S.
47 „Die Skepsis gegen die ethische Unternehmensführung
lautet etwa: Sie betreiben diese nicht, um den politischen
Fortschritt voranzutreiben. Ja, es stimmt sicherlich,
dass ihre Beweggründe, dass ihre Motive nichtethischer
Natur sind, aber die Effekte, die sie bewirken, sind
es. Wird die Welt also durch die Globalisierung besser?
Die Antwort darauf kann nur das Paradox als das Medium
des Spätkapitalismus benennen: Wo Produkte zu
Marken und Unternehmen zu Institutionen werden, steigert
Umwelt- und Sozialbewusstsein den Mehrwert: Hier wird
Profitdenken durch gesellschaftliche Verantwortung,
Einzelinteresse durch das Allgemeininteresse, kurz
– Egoismus durch Rücksicht aufs Allgemeinwohl
befördert. Jenseits von Gut und Böse macht
die Globalisierung die Welt besser, indem sie sie
schlechter macht. Oder umgekehrt.“ |
Ich
möchte nun meinen Vorschlag anbieten, dieses Paradox
aufzulösen. Ich denke nämlich, dass Isolde Charim
einen Fehlschluss begeht, wenn sie meint:
Fehlschluss
S.
46-47 „Die Kritik dieser Form der Ethik als
PR hängt noch einer eindeutigen kategorialen
Trennung von gut und böse an, von der wir uns
verabschieden müssen.“ |
Das
Problem, um das es sich hier dreht, liegt überhaupt
nicht in der „eindeutigen kategorialen Trennung von
gut und böse“ (und ist deshalb auch nicht als
Vermischung oder „ambivalente Verschränkung dieser
Pole zu beschreiben).
Um der
Lösung auf die Schliche zu kommen, ist vielmehr zu
fragen: Warum beschreibt Isolde Charim denn eigentlich den
erreichten Fortschritt als ein Paradoxon? Sie tut das deswegen,
weil die herkömmliche Vorstellung in den Köpfen
der Menschen darauf besteht, dass man nur aus ethischen
Motiven ethisch handeln kann; dass ethisches Handeln ohne
ethische Motive eben kein ethisches Handeln sein kann. Diese
Vorstellung ist eng verbunden mit jener anderen, dass nur
ein guter Mensch (eine gute Institution) gut handeln kann.
Gleichzeitig bezeugt aber das Ergebnis, zu dem Charim kommt,
dass das nicht der Fall ist: Die Wirtschaft schickt sich
zu ethischem Handeln an, weil sie weiterhin ihren herkömmlichen
Zielen der Gewinnsteigerung folgt (und nicht indem sie diese
plötzlich aufgäbe, um ein wahrhaft ethisches Subjekt
zu werden).
Das
Paradox lässt sich also nur dann auflösen, wenn
wir die guten Handlungen von den guten Handelnden trennen:
Es ist möglich, dass jemand gut handelt, ohne ein gutes
Herz zu haben. Aber es fällt den meisten Menschen schwer,
diese Vorstellung zu akzeptieren. Es scheint, als habe Immanuel
Kant genau die Volksmeinung getroffen, als er den ersten
Satz des ersten Abschnitts seiner Metaphysik der Sitten
schrieb: „Es ist überall nichts in der
Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken
möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte
gehalten werden, als allein ein guter Wille.“
Wenn wir gutes Handeln vom Handelnden trennen, dann können
wir verstehen: Die Wirtschaft kann ethischer werden, ohne
ethischer zu werden (d.h. sie kann dazu gebracht werden,
ethischer zu handeln, ohne deshalb von ethischen Motiven
durchdrungen zu werden und ohne dass sie von ihren herkömmlichen
Zielen der Profitmaximierung abgeht).
Oder
ich frage einmal umgekehrt: Was ist denn eigentlich das
potentiell Empörende daran, wenn Unternehmen, die sich
einen Corporate Social Responsibility-Kodex auferlegt haben,
sich in der Folge „mit ihrer eigenen Haltung schmücken“.
Nichts ist empörend daran außer dem, dass es
so aussieht, als ob die Unternehmen auf diese Weise behaupteten,
dass sie gut seien, dass sie ethische und gute Motive hätten.
Und das wäre unrichtig. Bei weitem richtiger wäre
es schon, wenn sie sich nur für ihre guten Taten loben,
die sie begangen haben. Wenn sie sich dafür loben,
so tun sie es zu Recht. Das Problem liegt aber mehr auf
der Seite des Publikums als auf der der sich selber im besten
Lichte darstellenden Unternehmen: Die meisten Menschen haben
eine Art Kurzschlussschaltung im Kopf, die sie automatisch
dazu bringt zu denken, diese Organisation vollbringt gute
Taten, also muss es sich um eine gute Organisation (eine
von ethischen Motiven durchdrungene Organisation) handeln.
Dem ist aber nicht so.
Zu
demselben Kurzschluss führt wahrscheinlich auch dem
Wort "Wirtschaftsethik": Es klingt so, als wäre
sein Ziel, die Wirtschaft ethischer zu machen. Aber die
Wirtschaft lässt sich nicht ethischer machen (sie lässt
sich keine ethischen Ziele einpflanzen), was aber nicht
bedeutet, dass man keine ethischen Ziele in der Wirtschaft
umsetzen kann (man muss sie nur in ökonomische Ziele
umwandeln: wenn es etwas kostet oder einbringt, dann handelt
die Wirtschaft ethisch, ökologisch oder was auch immer).
Das hier Vorgebrachte hat auch absolut nichts damit zu tun,
ob einzelne Unternehmer oder Manager ethische Motive haben
– sie mögen sie schon haben (auch Unternehmer
und Manager sind nicht alle schlechte Menschen), es geht
vielmehr darum, dass ethische Motive im wirtschaftlichen
Verkehr keinen Platz haben.
Meine
Lösungsvorschlag ist also folgender: Das einzige reale
Problem, das ich in Isolde Charims Formulierung ihres Paradoxons
sehe, ist das, dass von den heutigen Menschen immer noch
die meisten denken: Wenn ein Unternehmen gute Taten vollbringt,
dann ist es ein gutes Unternehmen. Genau diese Denkweise
führt überhaupt zu dem von Charim beschriebenen
Paradox, denn einem jeden Menschen mit offenen Augen zeigt
sich, dass heutige Organisationen besser handeln, ohne sich
einen Deut darum zu bemühen, selbst besser zu werden
(sodass man andauernd geneigt ist, ihr gutes Handeln für
eine bloße PR-Maßnahme zu halten). Der wesentliche
Punkt ist aber, dass ethischer Fortschritt in der Wirtschaft
gar nicht anders denkbar ist: Die Unternehmen werden nicht
ethischer werden, sie können nur vom Staat, von der
Öffentlichkeit und den Konsumenten genötigt werden,
ethischer zu handeln. Deshalb würde ich in Isolde Charims
reservierte Beurteilung nicht einstimmen, sondern sagen,
dass hier ganz klar ein Fortschritt vorliegt.
Nur,
damit man es wirklich als Fortschritt werten könnte,
fehlt etwas: Das Publikum, die Menschen müssen es auch
verstehen, dass eine Organisation oder eine Institution
gut handeln kann, ohne selber gut zu sein. Schaffen die
Menschen das? Die einfacheren Gemüter sicher nicht,
aber die gescheiteren haben gewiss schon begriffen, dass
derselbe Typ von Problem ja auch in anderen Bereichen existiert,
vor allem anderen in der modernen politischen Theorie: So
ist ja auch beispielsweise der Staat nicht deshalb gut,
weil wir ihn als unser Heimatland lieben und unser Heimatland
aufgrund unserer Liebe gar nicht anders kann, als uns ein
guter Vater (Vaterland) zu sein, der auf seine Kinder achtet,
sondern der Staat ist deshalb soweit gut und verhält
sich korrekt uns gegenüber, wie er es tut, weil es
in ihm eine Unzahl von voneinander (im Idealfall ganz) unabhängiger
Institutionen gibt, die einander gegenseitig überwachen
und die gewährleisten, dass Fehler wieder korrigiert
und Schäden behoben werden, wenn eine oder einige dieser
Institutionen durch Zufall eine schlechte Führung haben
(z.B. ein schlechter Politiker ist populär und wird
gewählt). Auch hier also achtet man nicht auf den guten
Willen der Institutionen und auf den moralischen Kern der
Behörden, sondern man stellt ethisches Verhalten sekundär
durch Machtbeschränkungen und gegenseitige Kontrolle
her.
Anders
gesagt, in einer guten Staatsverfassung gibt es für
eine jede Institution eine Gegeninstitution, damit ein Machtgleichgewicht
und gegenseitige Kontrolle hergestellt werden; auf diese
Weise soll erreicht werden, dass am Ende als Ergebnis etwas
(relativ) Gutes herauskommt, selbst wenn nicht alle handelnden
Menschen oder Institutionen selber gut sind. Warum kann
man das in der Wirtschaft nicht ähnlich sehen? Mir
scheint der einzige Grund, der uns davon abhält, derjenige
zu sein, dass die meisten Menschen einen unüberwindlichen
Wunsch nach guten Organisationen und Institutionen in sich
tragen. Das mag auch mit einer bestimmten Verachtung für
das Individuum in der Westlichen Welt zusammenhängen:
Wenn man schon den einfachen Mann von der Straße nicht
achten kann, dann will man doch große und renommierte
Institutionen bewundern (elitäre Privatschulen und
Eliteuniversitäten, Museen, berühmte Orchester
und andere Institutionen staatlicher Repräsentation,
aber auch Unternehmen und Konzerne). Die gegenteilige Haltung
gibt es natürlich auch: Sie besagt, Organisationen
und Institutionen seien böse, und sie äußert
sich im Denken vieler junger Globalisierungsgegner als der
„böse Coca Cola-Konzern“ oder die „bösen
Multis“.
Ich
bin mir dessen bewusst, dass meine Botschaft für beide
dieser Gruppen fürchterlich ist: Organisationen und
Institutionen sind weder gut noch böse. Das bedeutet
auch, dass man sie nicht (ethisch) verbessern kann (organisatorisch
schon!) – Organisationen und Institutionen sind vollkommen
unethisch. Wir sollten zu einer neuen Beurteilungsweise
von Organisationen und Institutionen kommen, sie nicht länger
als etwas Gutes oder Böses ansehen, sondern damit anfangen,
sie neutral zu beurteilen.
Leider
ist das Meiste, was heute geschieht, noch von der umgekehrten
Denkweise geprägt: Eine gute Institution handelt gut
und wenn eine Institution gut handelt, dann zeigt das an,
dass es sich um eine gute Organisation handelt. Die meisten
Menschen sind (offenbar) noch nicht in der Lage, eine Institution
nach ihren Handlungen zu beurteilen und dabei den gewagten
Schluss auf irgendwelche inneren ethischen Eigenschaften
dieser Institution, auf ihre innere Gutheit, zu unterlassen.
Wer schon einige meiner Texte gelesen hat, weiß, dass
ich oft die Wissenschaft kritisiere, aber ich tue das nicht
deswegen, weil ich denken würde, dass sie uns keine
guten Dinge bringt (Erkenntnisse oder nützliche technische
Erfindungen), sondern weil die meisten Menschen in ihr etwas
sehen, das an sich selber gut ist (das ein Wert an sich
ist). Ich hingegen sehe in der Wissenschaft vor allem eine
große Menge an Menschen, die Wissenschaftler, die
in ihr arbeiten, um sich auf diese Weise ihren Lebensunterhalt
zu verdienen – keine überirdische Einheit also,
die an und für sich gut wäre, sondern eine irdische
Institution, die gute Ergebnisse liefern kann, wenn und
solange sie gut verwaltet und kontrolliert wird. Wird solch
ein sozialer Großkörper nicht gut gesteuert und
kontrolliert, so kann er durchaus auch Schaden anrichten.
Das
sollte nicht so schwer einzusehen sein, dennoch wird der
tiefsitzende Wunsch der Menschen nach guten Institutionen
heute wieder bedient, z.B. mit der Schaffung von Elite-
und Exzellenzuniversitäten in Österreich und in
Deutschland, indem Prestige aufgebaut und auf den äußerlichen
Glanz des Namens der Hochschulen Wert gelegt wird, so als
ob es möglich wäre, dass in diesen Institutionen
so etwas wie ein innerer Wille zur Exzellenz in Wissenschaft
und Ausbildung herrschen könnte. Warum führt man
nicht anstatt dessen denselben Fortschritt herbei, den Isolde
Charim in ihrem Artikel beschrieben hat: Man gesteht sich
ein, dass Universitäten ganz normale (neutrale Beurteilung:
weder gute, noch schlechte, noch exzellente) Organisationen
oder Institutionen sind, bemüht sich nicht länger,
ihnen eine andere Seele einzuimpfen und verbessert stattdessen
ihr Funktionieren?
Aber
das wird wohl erst möglich sein, wenn die Menschen
den Unterschied zwischen einer "guten Universität"
und einer "guten Universität" verstehen.
Damit kann gemeint sein, dass sie einen guten Kern hat,
ethische Motive und ein gutes Wesen (und diese Bedeutung
wollen wir hier nicht akzeptieren), oder es kann gemeint
sein, dass sie gut funktioniert und gute Ergebnisse liefert
(und dazu muss sie keine gute Universität im Sinne
ethischer Motive oder eines reinen Willens zur Wahrheit
sein).
19.
Jänner 2009
Unwissenschaftliche,
humoristische Nachschrift zu diesem Beitrag
Aus
Zufall – weil ich diesen Text gerade gefunden habe
– und weil es dazupasst, möchte ich in dieser
kleinen humoristischen Nachschrift eine alt-Wiener Geschichte
erzählen, welche die ökonomischen Bedingtheiten
ethischen Handelns im Wirtschaftsleben ein wenig veranschaulicht.
Ein Schelm wäre allerdings, wer da meinte, es seien
die nämlichen oder ähnliche Gründe, die Unternehmen
heute dazu bewegen würden, Corporate Social Responsibility-Abteilungen
einzurichten. Davon, dass das gar nicht sein kann, wird
man sich bei der Lektüre des Folgenden leicht überzeugen
können:
In
der Erzählung „Das gerettete Wien“ von
Fritz Stüber-Gunther (erschienen im Band Das
gerettete Wien. Neue Großstadtskizzen.
Wien 1911) tritt der Fleischhauer und Hausbesitzer Lorenz
Surrm auf, welcher sein alt-Wiener Wohn- und Geschäftshaus
niederreißen und anstatt dessen einen modernen Zinspalast
mit mehr als doppelt so vielen Wohnungen darinnen bauen
lassen möchte. Das einzige Problem dabei ist, dass
er sich vom Baumeister noch einen Nachlass von 5% der Baukosten
wünscht, wobei er insgeheim aber auch mit einem von
2,5% oder 3% zufrieden wäre; der Baumeister jedoch
ist bislang nicht auf diesen Wunsch des Hausbesitzers eingegangen,
weswegen dieser gerade dabei ist, seine Hausbaupläne
schweren Herzens ganz aufzugeben.
Da kommen unvermutet zwei Herren zu Besuch, Herr Hof- und
Gerichtsadvokat Dr. O. W. Krautvetter und Julius Ritter
v. Ghigl-Gaglia. Herr Surrm kann sich erinnern, dass ein
Bauunternehmer namens Ghigl-Gaglia, wahrscheinlich der Vater
oder Großvater des Besuchers, sich in den 1860er Jahren
bei der ersten Stadterweiterung Wiens nicht nur ein großes
Vermögen, sondern auch den Adelstitel erworben hatte.
Die beiden erzählen, dass sie einen Verein mit dem
Namen „Schütz-Wien“ gegründet hätten,
um künstlerisch und historisch wertvolle Häuser
vor der rücksichtslosen Bauwut zu schützen, die
in der Stadt gerade herrsche. Als Besitzer eines schönen
Wiener Vorstadthauses erhoffen sie sich von Herrn Surm,
dass er mit einem einmaligen Betrag von 1000 Kronen „Stifter“
dieses Vereins werde; daneben gebe es auch die Möglichkeiten,
mit einmalig 100 Kronen als „Gründer“ dem
Verein beizutreten oder mit einer Krone jährlich einfaches
Vereinsmitglied zu werden. Lorenz Surrm lehnt das Ansinnen
ab mit der Begründung, er sei schon bei fünfundzwanzig
Vereinen.
Als Herr Surrm später am selben Tag vom Wirtshaus heimkommt,
überreicht ihm seine Frau einen Brief, in welchem zu
lesen ist, dass der Baumeister sich mit dem Preisnachlass
von 5% einverstanden erklärt. Lorenz Surrm ist hochzufrieden,
doch dann fällt ihm etwas ein: Er trägt seiner
Frau auf, ihn am nächsten Tag daran zu erinnern, den
Gründerbeitrag von 1000 Kronen für einem bestimmten
neu gegründeten Verein bei der Postsparkasse einzuzahlen.
Warum
nun will Herr Surm einem Verein beitreten, welcher die historisch
wertvollen Bauwerke Wiens schützen will, nachdem er
selbst soeben beschlossen hat, sein eigenes historisch wertvolles
Wohnhaus durch eine Mietskaserne zu ersetzen? Wer hier einen
Widerspruch sieht, der hat zu eng gedacht und muss mehr
Elemente ins Blickfeld nehmen, um zur richtigen Lösung
zu kommen.
(Fritz
Stüber-Gunther: „Das gerettete Wien“, in:
Susanne Feigl (Hg.): Wiener Humor um 1900. Edition
S, Verlag der Österr. Staatsdruckerei. Wien 1986. S.
124 – 131.)
20.
März 2009
|