In
der Krise hat auch die Ethik Konjunktur
Die
Wirtschaft versteht es schon, sich immer wieder interessant
zu machen, alle Achtung! Sie macht ein gutes Marketing:
Zuerst boomt sie ein paar Jahre lang, sodass alle ihre Köpfe
nach ihr drehen, um – vielleicht – reich zu
werden; dann wiederum fällt sie in die tiefste Krise
und macht sich dadurch interessant, indem sie den Leuten
Angst macht, alles, was sie haben, zu verlieren. Sicherlich
gibt es nach dieser Krise wieder den schönsten Boom,
dann gibt wieder einen anderen Grund, sich für Wirtschaft
zu interessieren als jetzt. Es sollten andere Bereiche auch
alle paar Jahre eine Krise haben, eine unspektakuläre
lineare Entwicklung, das ist nicht aufregend! Mir gefällt
die Krise mittlerweile auch, und zwar deswegen, weil das
Thema „Ethik“ durch sie wieder Konjunktur hat,
denn hier habe ich auch ein bisschen was beizutragen.
Zum
Beispiel widmet die Samstagausgabe der österreichischen
Tageszeitung „Die Presse“ (vom 11. April 2009)
dem Thema Ethik in der Wirtschaft gleich die ersten drei
Seiten! Aber ich will mich im Folgenden bloß auf die
Titelseite beschränken. Das genügt auch, weil
die beiden Artikel auf ihr die Lust zum Kommentieren dramatisch
anregen. Der erste, von Martina Salomon, heißt „Und
die Moral von der Geschicht?“ und fragt danach, ob
die Wirtschaftskrise, die wir derzeit erleben, die Moral
in die Wirtschaft zurückbringe, was sogleich von der
Gewerkschaft mit „Nein“ beantwortet wird. Doch
dann schürft der Artikel tiefer:
„Aber
was bräuchte es wirklich für eine „ethische
Wende“? Christian Friesl, Theologieprofessor
und Bereichsleiter Gesellschaftspolitik in der Industriellenvereinigung,
sieht alle Teile der Gesellschaft gefordert –
nicht nur die Manager, auch die Konsumenten. Die Wirtschaftskrise
betrachtet der ehemalige Präsident der Katholischen
Aktion auch als ethische Krise: „Wir haben übers
Ziel geschossen, wollten die ‚fetten Jahre’
auf ewig prolongieren und haben – vor allem
in den USA – auf allen Ebenen Schulden über
Schulden angehäuft.“ Wobei das „Gewinn-Ego“
keineswegs nur auf Seiten der Unternehmen anzutreffen
sei: „Hätte es die Fehlentwicklungen im
Finanz- und Wirtschaftssystem ohne die entsprechende
Erwartungshaltung in der Gesellschaft gegeben?“
Martina
Salomon: "Und die Moral von der Geschicht?",
in: "Die Presse", vom 11. April 2009, S.
1. |
Siehe
da, die Wirtschaftskrise hat also auch eine ethische Krise
mit sich gebracht – oder ist das nur deshalb so, weil
wir gerade so gerne von „Krise“ reden? In wirtschaftlichen
Boomzeiten will ohnehin niemand über Krisen reden,
da wären also auch ethische Krisen schwer zu thematisieren.
Nützen wir also die Konjunktur der Wirtschaftskrise,
um auch die Ethik in die Krise zu stürzen, um über
sie reden zu können! Denn über die Ethik redet
man – im Unterschied zur Wirtschaft, die auch interessant
ist, wenn sie boomt – nur in der Krise, solang ethisch
alles in Ordnung ist, braucht schließlich niemand
über sie zu reden. Wir schließen: Es ist durchaus
gut für die Ethik, dass sie in der Krise ist, und natürlich
auch, dass die Wirtschaft in der Krise ist. Geht es der
Ethik also schlecht, dann geht es ihr gut, weil über
sie geredet wird. Aber was wird über sie geredet?
Nun,
was das Was, also den Inhalt dieses Zitats betrifft, so
möchte ich ihn gern mit Pierre Bourdieu einen Ausfluss
des gesellschaftlichen Unbewussten nennen, oder, nicht ganz
mit Bourdieu, einen vielleicht gar nicht so unbewussten
Ausfluss des gesellschaftlichen Unbewussten. Denn hier sagt
ein Mitarbeiter der Industriellenvereinigung aus, dass „wir“
schuld seien an der Krise, weil wir „vor allem in
den USA“ „übers Ziel geschossen“
hätten (wie hat die österreichische Industriellenvereinigung
in den USA übers Ziel geschossen?) und dass aber nicht
nur die Manager oder die Unternehmen allein dafür verantwortlich
seien. Diese Aussage mag inhaltlich richtig sein oder auch
nicht, aber von einem Mitarbeiter der Industriellenvereinigung
habe ich mir natürlich auch gar nichts anderes erwartet.
Ich erwähne das nur beiläufig, weil sonst vielleicht
irgendwer glauben könnte, dass hier ein Professor Auskunft
über ethische Fragen gegeben hat, während er in
Wirklichkeit vielleicht nur sagen wollte, dass die Manager
und Unternehmer nicht, oder zumindest nicht allein, an der
Wirtschaftskrise schuld seien?
Aber
in diese Richtung wollte ich eigentlich gar nicht gehen.
Was ich sagen wollte, ist, dass ich mich frage, ob hinter
diesen Artikeln letztlich weniger Verständnis für
ethische Fragen oder weniger Wirtschaftskompetenz steht.
Wir hätten „übers Ziel geschossen“,
die „‚fetten Jahre’ auf ewig prolongieren“
wollen und uns ein „Gewinn-Ego“ aufgebaut, das
maßlos immer mehr wollte und „Schulden über
Schulden angehäuft“ hat. Was ist das –
eine ethische Kritik der Wirtschaftswelt? Eine neue Bescheidenheit,
nur weil die Zeit gerade für sie passt? Das sind einfach
fehlgeleitete, irrige Gedanken: Wir haben über gar
kein Ziel geschossen, weil wirtschaftliche Orientierung
darin besteht, über Ziele zu schießen und sich
mit dem, was man jetzt hat, nicht zufrieden zu geben; und
die fetten Jahre prolongieren zu wollen, ist auch etwas,
das ein jeder in der Wirtschaft ganz selbstverständlich
will; und hoffentlich hat ein jeder dieser Mitspieler in
der Wirtschaft sich auch ein „Gewinn-Ego“ aufgebaut,
sonst wird er auf diesem Feld nichts gewinnen.
Das
Schrägste und Unglaubwürdigste in diesem Artikel
ist jedoch die rhetorische Frage, ob es „die Fehlentwicklungen
im Finanz- und Wirtschaftssystem ohne die entsprechende
Erwartungshaltung in der Gesellschaft gegeben“ hätte?
Hier kann man nur fragen: Wo hat es denn in der Wirtschaft
eine Fehlentwicklung gegeben? Es hat überhaupt keine
Fehlentwicklung gegeben! Alles ist in bester Ordnung! Jeder
weiß, dass es in der Wirtschaft ungefähr alle
fünf Jahre einmal eine Krise gibt. Mag sein, dass diese
hier jetzt größer ist als gewöhnlich, aber
das ändert nichts daran, dass aus der Perspektive der
Wirtschaft her gesehen alles normal ist. Ach, es ist in
diesen Texten hier alles so absurd, dass man gar nicht weiß
wo man anfangen soll: Also die Finanz- und Wirtschaftskrise
soll entstanden sein aus zu hochgesteckten Gewinnerwartungen
der Mitspieler, die es aber nicht „ohne die entsprechende
Erwartungshaltung in der Gesellschaft gegeben“ hätte?
Das heißt wohl, Gewinn-, Rendite- und Wachstumserwartungen
kommen nicht aus der Logik der Wirtschaft, sondern aus der
unethischen Besitzgier von Privatpersonen, welche in Zukunft
wieder bescheidener sein sollten? Möchte nicht mal
jemand kurz ein Betriebswirtschaftslehrbuch hernehmen und
das Kapitel „Unternehmensziele und Kennzahlen“
aufschlagen. Dort steht ganz bestimmt, man solle seine Gewinnerwartungen
bescheiden ansetzen, dann wird das auch der Konkurrent respektieren
und dasselbe tun. Steht das da?
Aber
lassen wir das. Noch lustiger als dieser ist der Artikel
von Josef Urschitz mit dem Titel „Im Alltag gewinnt
der, der vor nichts zurückschreckt“. Dieser Text
beginnt mit einem längeren Zitat aus dem „Manager-Magazin“
aus dem Jahr 2002, der sehr gut auch jetzt geschrieben worden
sein könnte. (Man sieht: Die öffentliche Krisenrhetorik
wiederholt sich.) Schon allein die einzelnen Sätze
dieses Zitats treiben einem die Tränen in die Augen
wie Zwiebelschneiden: „Die Krise ist eine Vertrauenskrise:“
– hebt man groß an. „Finanzmärkte
zweifeln an der Glaubwürdigkeit von Managern, auf Firmenbilanzen
ist kein Verlass.“ – Sodom und Gomorrha –
die reine Sündenhaftigkeit hat sich im Wirtschaftsleben
breit gemacht! „Die Bürger zweifeln an der Integrität
von Managern und Politikern.“ – Glaub ich nicht,
dass die Bürger zweifeln; es müsste richtiger
heißen, die Bürger zweifeln nicht einmal mehr
an der Integrität von Managern und Politikern. „Die
Manager zweifeln an der Verlässlichkeit ihrer Geschäftspartner.“
– Dieser Satz ist komplett unsinnig, denn das sollen
die Manager ja auch tun; das ist ihr Job! „Und die
Mitarbeiter zweifeln am Anstand ihrer Chefs.“ –
Zweifeln sie, haben sie je gezweifelt? Nein, sie haben nie
am Anstand ihres Chefs gezweifelt, allein schon auf die
Idee, dass es möglich ist, an ihm zu zweifeln, wären
sie nie gekommen! Aber das war bisher nur der Text aus dem
deutschen „Manager-Magazin“ aus dem Jahr 2002.
„Auf dieser Basis“, geht der Artikel weiter,
könne sich „kein vernünftiges Wirtschaften
entwickeln“. – So? Kann sich nicht? Müssen
also zuerst alle grundehrlich sein, damit vernünftiges
Wirtschaften möglich werde? Müssen alle ehrliche
Häute sein, grundehrliche ethische Häute, weil
sonst die Wirtschaft nicht funktioniert – ohne Ethik?
Ich bin eher geneigt, genau das Gegenteil anzunehmen: Überall
dort, wo etwas nicht in Ordnung ist, ist etwas sehr in Ordnung!
Sie verstehen diese Logik nicht? Sie ist ganz einfach: Überall,
wo etwas nicht in Ordnung ist, ist etwas sehr in Ordnung,
weil nämlich jemand etwas davon hat, dass etwas nicht
in Ordnung ist. Dass der Großteil der Menschen nichts
davon hat oder sogar einen Schaden davonträgt, na gut;
aber zumindest dieser kleine Teil der Menschen, der etwas
hat davon, dass etwas nicht in Ordnung ist, hat Interesse
daran, dass es so bleibt, wie es nicht in Ordnung ist. Es
hat alles seinen Sinn, man muss nur Vertrauen haben.
Jetzt
schrieben wir 2009, entwickelt der Artikel seine Argumentation
weiter, und es habe sich nichts geändert, man habe
also, folgert er, „aus den Fehlern der Vergangenheit
nichts gelernt“. Und was hätte man lernen sollen?
– Moral! Aber die sei in der Wirtschaft bloß
„etwas für Sonntagsreden und Symposien“.
Das sei „[e]ine gefährliche Entwicklung“,
denn in Deutschland hätten Meinungsforscher herausgefunden,
dass diejenigen, „die die Marktwirtschaft nicht mehr
für das überlegene Modell halten, im Vorjahr erstmals
die Mehrheit erreicht“ haben. Ist das wirklich eine
gefährliche Entwicklung? Ich glaube nicht, denn welches
andere Wirtschaftsmodell wollen sie denn wählen, wenn
sie die Marktwirtschaft nicht mehr für das überlegene
halten? Das andere, das da noch war, ist doch schon seit
20 Jahren eingemottet!
Heutzutage
ist es eine anspruchsvolle Aufgabe, überhaupt zu verstehen,
was diese öffentlichen Kommentatoren und Meinungsbilder
umtreibt. Dass der „Druck, das System durch Korrekturen
vor dem Untergang zu bewahren“ offenbar noch nicht
groß genug sei, beklagt Herr Urschitz. Aber wird denn
derzeit nicht ohnehin schon überall an Korrekturen
gebastelt? Das sehe man am Schicksal des „Corporate
Governance Kodexes“, so Urschitz, weil die Selbstverpflichtung
der Unternehmen zu diesen Wohlverhaltensmaßregeln
nur freiwillig sei. Aber die Selbstverpflichtung war doch
die Grundidee der ganzen Sache – was will er den jetzt
von den Unternehmen? Wenigstens der letzte Absatz des Artikels
ergibt Sinn, aber auch nicht den, den der Autor sich von
ihm erhofft hat, sondern den entgegen gesetzten. Ich würde
ihn als gutes Beispiel dafür ansehen, was passiert,
wenn man Ethik als die Befolgung von Regeln auffasst:
„Wie
man Ethik in vielen Unternehmen sieht, demonstriert
seit Monaten die Meinl Bank: Der Vorwurf, man habe
Anleger durch die Verheimlichung von Zertifikatsrückkäufen
der Meinl European Land getäuscht, wird kühl
mit der Bemerkung gekontert, man sei dazu „durch
Jersey Law“ nicht verpflichtet gewesen. Verboten
hätte ihnen eine anständige Information
ihrer Geldgeber aber auch niemand."
Josef
Urschitz: "Im Alltag gewinnt immer der, der vor
nichts zurückschreckt", in: "Die Presse",
vom 11. April 2009, S. 1. |
Zum
Schluss kehre ich noch einmal zum ersten Artikel zurück:
Wolfgang Katzian, der Chef der Gewerkschaft der Privatangestellten,
beklagt darin, dass „der Kapitalismus nach wie vor
in Funktion [sei]“, dass „Hauptziel eines Unternehmens
doch nach wie vor [sei], Gewinne zu machen“ und er
eine „moralische Besserung derzeit nicht [sehe]“.
Also wäre eine moralische Besserung eingetreten, sobald
es nicht mehr Hauptziel eines Unternehmens ist, Gewinne
zu machen? Wäre das die moralische Korrektur der Wirtschaft?
Es wäre schön, wenn alle, die keine Idee von Ethik
haben, zumindest von Wirtschaft etwas verstehen würden,
wenn sie sich schon darüber äußern. Aber
aus der Perspektive der Wirtschaft ist nicht einmal das
nötig. Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass die
Wirtschaft es zu allen Zeiten versteht, sich interessant
zu machen. Auch das Gerede von Ethik in der Wirtschaft,
selbst aus der Feder von Unbedarften, nützt der Wirtschaft.
So lockt sie uns in Boomzeiten mit fetten Gewinnen und in
Krisenzeiten lassen es ahnungslose Kommentatoren so aussehen,
als ob es so etwas wie eine „ethische Wirtschaft“
geben könnte, eine „Wirtschaft mit moralischem
Gewissen“. Aber nichts von alledem ist möglich,
weil die Wirtschaft nach wirtschaftlichen Gesetzen funktioniert
und ihr ethische Regeln oder moralische Anliegen deshalb
immer äußerlich bleiben werden. Soviel verstehe
sogar ich von Wirtschaft, der ich nun wirklich kaum etwas
davon verstehe.
Aber
womöglich ist es ja so, dass der eigentliche Zweck
der Artikel dieses Schwerpunktthemas in der „Presse“
derjenige ist, das Selbstbild des Mittelstands zu verteidigen,
in dessen Reihen es immer wieder Menschen gibt, die auf
sich selbst als faire und gewissenhafte Unternehmer stolz
sind und stolz sein wollen. So etwas wie den ehrlichen,
ethisch integren Unternehmer muss es doch geben, er muss
doch möglich sein – moralisch einwandfreies Wirtschaften
muss doch möglich sein – so oder so ähnlich
scheint der unausgesprochene zentrale Punkt der beiden hier
besprochenen Artikel zu lauten. Und – was soll ich
hier beleidigend werden? Freilich gibt es den ethisch handelnden
Unternehmer, freilich ist ethisches Handeln in der Wirtschaft
möglich! Es ist ja auch möglich, von Wien aus
über London zu fliegen, wenn man nach Rom will. Alles
ist möglich, wenn man es nur will und bereit ist, die
Kosten dafür zu übernehmen. So wie man sich ein
teures Auto leistet, kann man sich auch ethisches Wirtschaften
leisten. Wenn es einem das wert ist. Ich sage nicht, dass
ethisches Handeln in der Wirtschaft nicht möglich ist,
es hat nur mit Wirtschaft rein gar nichts zu tun.
Das
ist die eine Seite, und die andere ist: Wenn die Wirtschaft
crasht, dann crasht sie eben – das spricht überhaupt
nicht gegen die Wirtschaft. Nur weil sie unseren Erwartungen
nicht entsprochen hat, werfen wir ihr jetzt Maßlosigkeit
in den Gewinnerwartungen vor und kommen ihr mit ethischen
Imperativen? Nein, die Wirtschaft braucht keine ethische
Wende, schon allein deshalb nicht, weil es gar nichts gibt,
das mit ihr nicht stimmen würde. Enron und Worldcom,
Madoff und AIG, Schmiergelder bei Siemens und Zertifikaterückkäufe
bei Meinl (sie alle werden im Artikel von Josef Urschütz
als moralische Sünder erwähnt) – was im
Wirtschaftsleben tatsächlich nicht in Ordnung ist,
verfolgt ohnehin die Justiz. Dafür braucht es keine
Ethik. Und bei dem, was über die Kompetenzen der Justiz
hinausgeht, ist der Eingriff der Ethik ebenfalls sinnlos,
weil er in der Wirtschaft wirkungslos bleibt. Die Wirtschaft
braucht keine Ethik, jedenfalls nicht so, wie die Journalisten
und Kommentatoren sie derzeit fordern. Aber die Journalisten
bräuchten zumindest ein bisschen Wissen über Wirtschaft,
damit sie solche Sachen wie, dass wir „übers
Ziel geschossen“ hätten und ähnlich peinliche
Falschvorstellungen nicht in Zukunft nicht mehr von sich
geben.
21.
April 2009
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