Interkulturelle
Kommunikation im Unterricht
Dem Lehrbuch Erfolgreich in der interkulturellen Kommunikation
(Berlin 2007) des Cornelsen Verlags ist eine DVD mit einer
einzigen kurzen Video-Szene beigelegt. Deren Inhalt wird
auch im Teil II des Buches, auf den Seiten 24 und 25 thematisiert.
Die Videoszene zeigt ein berufliches Erstgespräch zwischen
Herrn Weber, dem Chef der Niederlassung eines deutschen
Unternehmens in Chicago, und dem amerikanischen Mitarbeiter
Herrn Gregory.
Ich möchte den Inhalt kurz nacherzählen:
Das Video beginnt damit, dass Herr Gregory 5 Minuten zu
spät kommt; Herr Weber schaut schon unheilvoll drohend
auf die Uhr über ihm, bevor er ihn hereinbittet. Herr
Gregory begrüßt Herrn Weber und versucht mit
ein wenig Small Talk die Stimmung zu lockern (Chicago heiße,
„die windige Stadt“, wer das Lied des Windes
verstehe, gehe nie wieder weg von hier.). Herr Weber ist
verschnupft und erinnert Herrn Gregory an sein Zu-spät-Kommen;
dieser versucht das mit einem Scherz zu überspielen
– Herr Weber schaut noch böser. Er knallt Herrn
Gregory einige Arbeitsaufträge hin, Lieferanten- und
Abnehmerlisten, die dieser bis morgen um 10 Uhr morgens
bringen solle und schließt die Konversation mit „Noch
Fragen?“ Herr Gregory steht verwundert auf und fragt
noch, ob es Herrn Webers Familie in Chicago gefalle. Dieser
bejaht kurz, ohne das Gesprächsangebot anzunehmen.
Daraufhin verlässt Herr Gregory enttäuscht und
gebeutelt den Raum.
Nun hört man eine Sprecherin aus dem Off, die die Verwirrung
Herrn Gregorys zum Ausdruck bringt und abschließend
meint: „Falls es nicht bald zu einer interkulturellen
Verständigung zwischen den beiden kommt, wird er (=Herr
Gregory) sich wohl bald einen neuen Job suchen.“
Wenn ich mir dieses praktische Beispiel
dafür ansehe, wie Interkulturelle Kommunikation heute
gelehrt wird, dann finde ich darin vieles, was mir an diesem
Fach nicht gefällt – und gleichzeitig frage ich
mich, was aus der Interkulturellen Kommunikation geworden
ist, denn es sieht so aus, als hätten wir es heute
nur mehr mit einer Schrumpfversion von ihr zu tun.
Was
also geschieht in diesem Beispiel eigentlich – aus
meiner Sicht? Es wird uns hier die Notwendigkeit von Interkultureller
Kommunikation anhand eines kommunikativen Missverständnisses
oder Zusammenkrachens vorgestellt. Wenn Herr Gregory z.B.
interkulturelle Kompetenzen hätte, dann würde
er die Werte, die hinter Herrn Webers Kommunikationsverhalten
stehen, kennen und würde wissen, dass unser kommunikatives
Verhalten von kulturellen Konventionen geprägt ist
– und dann würde er sich über seinen deutschen
Chef nicht wundern, wäre nicht irritiert und würde
ihm sein Verhalten auch nicht übel nehmen. Würde
er es ihm nicht übel nehmen? Ich glaube nicht. Ich
würde es ihm zumindest übel nehmen – Herr
Weber ist hier eindeutig als Scheusal dargestellt.
Das
ist aber nicht das Wichtigste. Das Wichtigste ist, welche
Vorstellung von Wesen und Inhalten des Fachs Interkulturelle
Kommunikation die Lernenden durch dieses Beispiel bekommen.
Es gibt hier ein kommunikatives Missverständnis. Wenn
man dieses auflöst, dann wird erfolgreich kommuniziert.
Was wird passieren, wenn erfolgreich kommuniziert wird:
Herr Weber wird Herrn Gregory sagen, dass er diese Listen
haben will und Herr Gregory wird sie ihm besorgen. Das gleiche
wie jetzt, nur dass sich beide ein bisschen wohler dabei
fühlen werden. Was aber wird nicht passieren (worauf
richtet sich mein, für die Interkulturelle Kommunikation
perverser, Beobachtungsfokus): Es geht in dem Beispiel nicht
darum, dass einer von der Kultur des anderen etwas wissen
möchte, dass man kulturell unterschiedliche Erfahrungen
austauschen möchte. Auch erfolgreiche interkulturelle
Kommunikation wird folglich nichts mit interkultureller
Kommunikation zu tun haben, weil es offenbar gar nicht das
Ziel ist, dass zwischen zwei Kulturen etwas ausgetauscht
wird. Es geht nur darum, Missverständnisse oder nicht
einmal das, kommunikative Reibungen und Unwohlgefühle,
abzubauen – das ist die ganze Interkulturelle Kommunikation!
Wie enttäuschend!
Das
wird sicherlich etwas mit Wirtschaft zu tun haben –
schließlich ist dieses Lehrbuch auf die berufliche
Kommunikation ausgelegt. Ich frage mich, ob klarer wäre,
was ich sagen will, wenn man „erfolgreich interkulturell
kommunizieren“ durch „erkenntnisreich interkulturell
kommunizieren“ austauschen würde, also kommunizieren,
damit man von der anderen Kultur etwas erfährt. („Erfolgreich“
ist so ein vieldeutiges Wort, das etwas zu bedeuten scheint
und in Wirklichkeit nichts bedeutet, weil es eben derart
vieldeutig ist.) Aber darum geht es im Wirtschaftsleben
freilich nicht: Man möchte ökonomisch erfolgreich
sein und nicht etwas von der anderen Kultur erfahren. Nun
würde ich sagen: Diese Orientierung auf den wirtschaftlichen
Erfolg allein garantiert schon, dass man interkulturell
keinen einzigen Schritt aus der eigenen Kultur heraus tun
wird, um neue Gefilde zu erkunden, denn wirtschaftlich erfolgreich
sein, das wollte man ja auch schon vorher, das ist das Eigene
par excellence, ob man nun aus Deutschland, Frankreich oder
den USA kommt. Im Wirtschaftlichen trifft man sich dergestalt
international immer wieder im Hausbackensten und Abgestandensten
der eigenen Kultur.
Soweit
das Wichtigste: Interkulturelle Kommunikation wird uns hier
als ein Fach dargestellt, das Gesprächsschwierigkeiten,
die durch unterschiedliche kulturelle Weltanschauungen und
Gesprächskonventionen verursacht werden, auflöst.
Und nachdem sie aufgelöst sind, ist das Gespräch
um keinen Deut interessanter! Aber das ist noch nicht alles.
Verheerend ist auch, welche Vorstellung von Kulturen auf
diese Weise in den Lernenden erzeugt wird:
„Zu
den Voraussetzungen für erfolgreiche Kommunikation
gehört u.a., dass beide Kommunikationspartner...
eine gleiche Einschätzung der sozialen Situation
(Kontext, Rollen, Beziehung zwischen den Partnern)
haben;
eine gemeinsame Sprache sprechen, in der sie sich
verständigen können;
über gemeinsame Konventionen verfügen,
a) wie bestimmte Mitteilungsabsichten sprachlich realisiert
werden können;
b) wie und was begleitende Signale (Tonfall, Stimme,
Mimik, Gestik, Handlungen) zur Realisierung der Mitteilungsabsicht
beitragen.“
Volker
Eismann: Erfolgreich in der interkulturellen Kommunikation.
Cornelsen Verlag, Berlin 2007. S. 10 |
Das
ist natürlich, mit Verlaub gesagt, alles Mumpitz. Zu
den Voraussetzungen für erfolgreiche (gelingende) Kommunikation
gehört das alles nicht, sondern dazu gehört der
Wunsch, den Gesprächspartner verstehen zu wollen und
die Bereitschaft, auf ihn einzugehen. Jeder Erasmusstudent
weiß das, aber die Professionellen der Interkulturellen
Kommunikation wissen das nicht. Aber was ich damit sagen
wollte: Die Vorstellung von Kultur wird durch diese Version
der Interkulturellen Kommunikation auf bestimmte Regeln
eingeschränkt, wie wir soziale Situationen verstehen
und wie wir unsere Mitteilungsabsichten sprachlich realisieren.
Der Unterschied zwischen zwei Kulturen wird also darauf
eingeebnet, dass man in der einen schneller und in der anderen
langsamer spricht oder dass man in der einen direkter und
in der anderen indirekter kommuniziert. Also mir ist das
völlig klar, dass ich mich nicht länger für
eine andere Kultur interessieren werde, wenn ich die Vorstellung
habe, der wesentliche Unterschied zwischen meiner Kultur
und dieser bestünde bloß darin, dass man in der
anderen langsamer spricht. Diese deformierte Vorstellung
von Kultur ist von vornherein der Tod für jedes Bestreben
nach interkultureller Kommunikation, weil sie verunmöglicht,
dass man für eine andere Kultur authentisches Interesse
entwickelt.
Ich
bin noch immer nicht fertig. Jetzt kommt dazu die Vorstellung,
in der deutschen Kultur verhalte man sich so, in der amerikanischen
anders – höchst Stereotypen bildende Vorgangsweise,
wenn Sie mich fragen. Und dabei stellt sich die Frage, ob
das überhaupt stimmt? Das heißt, ob das überhaupt
stimmt, selbst wenn es stimmen sollte – d.h. wenn
es tatsächlich deutsche Chefs geben sollte, die sich
wirklich so verhalten? Ich komme ja nun nicht aus Deutschland,
aber ich würde sagen, dass es eben nicht so ist, dass
man durch interkulturelle Kompetenz die deutsche Kultur
ein bisschen besser verstehen würde - und dass man
dadurch dann auch diesen Herrn Weber versteht. Ich würde
demgegenüber behaupten, dass wohl alle BetrachterInnen
dieses Videos, aus welcher Kultur sie auch stammen, sagen
würden, dass der Herr Weber als Chef ein Scheusal ist.
Ich selber würde nun zwar nicht, wie Herr Gregory das
tut, mit dem Stuhl näher zu Herrn Webers Tisch rücken,
um die (unwohl fühlen machende) räumliche Distanz
zu überwinden, aber ich würde schon verstehen,
dass ein eineinhalb Meter vor dem Chefschreibtisch platzierter
Besucherstuhl nicht deutsche Kultur sondern ganz einfach
ein Instrument der Herrschaftsbezeigung und der Einschüchterung
ist. Rührend beinahe ist der Moment, wo Herr Gregory
Herrn Weber in einem letzten Versuch der Kontaktaufnahme
nach dem Befinden seiner Familie in der neuen Stadt fragt,
gleichsam: Ist er ein Ungeheuer oder doch nicht? Aber Herr
Weber ist ein Ungeheuer und schmettert den letzten eingeschüchterten
Kommunikationsversuch ab.
Und
wenn man dann noch liest, wie Herrn Webers Verhalten, also
wie die deutsche Kultur, deren Repräsentant Herr Weber
ist, gerechtfertigt wird: „WE: Gerade bei
einem ersten Termin erwarte ich, dass ein Mitarbeiter auf
die Minute pünktlich erscheint, denn Unpünktlichkeit
ist ein Zeichen von Unzuverlässigkeit“
(Ebd., S. 25), dann fragt man sich doch, ob nicht irgend
jemand aus Deutschland dagegen protestieren möchte,
dass der Herr Weber hier als (gutes) Beispiel für die
deutsche Kultur hingestellt wird? Mir selbst kam jedenfalls
ein Artikel über die Napolas, die Eliteschulen der
Nazis, in Erinnerung, den ich kurz vorher in der deutschen
Wochenzeitung Wirtschaftswoche gelesen hatte:
„Zwar
hatte Herrhausen [Alfred Herrhausen, Ex-Vorstandssprecher
der Deutschen Bank; Anm.] durchaus begriffen, dass
sein Feldafinger Drill für ihn ein Leben lang
prägend geblieben war. Trotzdem meinte er wie
viele Schicksalsgenossen eine „besondere ideologische
Indoktrination“ in seiner Schule nicht wahrgenommen
zu haben. Die wenigsten haben verstanden, dass das
Anstaltsleben mit seinen autoritären, antidemokratischen
Strukturen selbst die Indoktrination und politische
Prägung darstellte – der weltanschauliche
Unterricht, den es zusätzlich gab, wäre
gar nicht nötig gewesen. Herrhausen: „Ich
habe aus diesen Jahren keinen Schaden, sondern eine
Menge an preußischen Tugenden mitgenommen, die
mir im Leben weitergeholfen haben.“ Diese Wendung
freilich ist typisch für viele ehemalige NS-Eliteschüler:
„Schaden? – Nein.“
(Christian
Schneider: „Gelobt sei, was hart macht“,
in: Wirtschaftswoche Nr. 21 vom 18. Mai 2009) |
Es
geht darum, dass viele ehemalige Napola-Schüler im
Nachkriegsdeutschland Karriere machten und in die höchsten
Kreise von Wirtschaft, Politik und Militär aufstiegen
– und sie alle hatten nicht verstanden, dass die nazistische
Indoktrination nicht durch Ideologie und weltanschauliche
Gehirnwäsche in sie gekommen war, sondern durch die
Form und Strenge des Unterrichts selbst vermittelt wurde.
(Man vergleiche das mit der zentralen Botschaft des Films
„The Wave“ – „Die Welle“.)
Nein,
die Anschauung, wonach (einmalige) Unpünktlichkeit
unbedingt ein Zeichen von Unzuverlässigkeit sei, ist
nicht Teil der deutschen Kultur (so schlecht mag ich über
die deutsche Kultur nicht denken), selbst wenn sie in Deutschland
auch heute noch verbreitet sein mag. Aber es geht mir hier
um die Frage: Wie stellt man einem Angehörigen einer
anderen Kultur, einem Deutschlernenden, die deutsche Kultur
vor? Warum stellt man ihm etwas als normal hin, was in Wirklichkeit
möglicherweise ganz einfach der unsympathischste Aspekt
der deutschen Kultur sein mag? Warum will man ihm oder ihr
nicht etwas Sympathisches oder gar etwas Interessantes nahe
bringen? Gibt es in der deutschen Kultur etwa nichts Interessantes?
Aber man will ja nicht, dass sich jemand für die deutsche
Kultur interessiert, sondern Ziel ist nur, dass er so einen
Chef erträgt. Und jetzt mag es freilich sein, dass
so eine Situation realistisch ist, dass man im Berufsleben
manchmal eben ganz einfach einen solchen deutschen Chef
zu ertragen hat. Aber in dem Fall ist die Sache trotzdem
falsch und zwar in gefährlicher Weise falsch dargestellt,
weil hier Handlungen, indem sie als normal und typisch für
eine Kultur dargestellt werden, der Kritik entzogen werden.
In Wirklichkeit sollte Interkulturelle Kommunikation nicht
einer solchen Sakralisierung angeblicher Handlungskonventionen
(aus falsch verstandener Toleranz für die jeweils andere
Kultur) Vorschub leisten, sondern ganz im Gegenteil ein
Feld der Kritik an bestimmten Handlungen eröffnen dadurch,
dass die andere Kultur für dieselbe Situation vielleicht
eine andere Handlungsalternative anbietet, eine, die in
Konkurrenz steht zu der aus der eigenen Kultur, weil sie
vielleicht besser ist. Der Vergleich mit dem Handeln in
der anderen Kultur kann einen dann dazu bringen, das eigene
Handeln kritisch zu hinterfragen. (Aber bei diesem Beispiel
aus dem Video ist fast alles besser als das, was Herr Weber
tut.)
16. Juni 2009
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