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Dissertation: Bezugspunkt Gesellschaft

Die Präsentation der Interkulturellen Kommunikation in unserer heutigen Welt

 

Wie ich nun feststelle, sehe ich mich offenbar erst jetzt, nach sechs Jahren Beschäftigung mit dem Fach Interkultureller Kommunikation, langsam in der Lage, Schlussfolgerungen zu ziehen.

Ich habe in den Texten, die ich in dieser Zeit über Interkulturelle Kommunikation geschrieben habe (und von denen mehrere auf dieser Website zu lesen sind) aus den verschiedensten Perspektiven und unterschiedlichen Gründen gegen die Interkulturelle Kommunikation gewettert, sodass ein oberflächlicher Leser wahrscheinlich ganz einfach meinen wird, ich möge dieses Fach eben nicht.

Nichts ist falscher als das: Ich habe mich immer schon für das interkulturelle Element interessiert. Genauer: Ich habe mich für andere Möglichkeiten und Weisen interessiert, wie dieses menschliche Leben, das uns hier auf Erden aufgegeben ist, geführt und gestaltet werden kann. Eine Kultur, meine, war mir da immer zu wenig. Daher mein Interesse an anderen Kulturen. Aber gerade aus diesem Interesse heraus musste es mir sauer aufstoßen, wie Interkulturelle Kommunikation sich heute als Fach präsentiert und wie sie ihre Inhalte dem Publikum vorstellt.

Jetzt aber erst erkenne ich ein Muster in dem, was ich all die Jahre mit der Interkulturellen Kommunikation gemacht habe, wie ich an sie herangegangen bin und mit welchen Argumenten ich sie kritisiert habe. Um es in eine Formel zu bringen: Ich habe gesehen und herausgearbeitet, inwieweit die Interkulturelle Kommunikation in ihrer heutigen Form ein Produkt unserer heutigen Welt ist und inwiefern sie dadurch deren Gestalt angenommen hat. Anders gesagt: Ich habe auch in der Interkulturellen Kommunikation nichts anderes gemacht als was ich immer mache, wenn ich philosophiere: Ich habe mich mit unserer aktuellen Welt auseinandergesetzt.

Dabei ist mir aufgefallen, dass das Fach Interkulturelle Kommunikation und ihre Inhalte von folgenden Elementen der institutionellen Gestaltung unserer Welt beeinflusst ist (Soziologen werden mich hier wahrscheinlich besser verstehen als andere Menschen), welche auch z.B. mitbestimmen, warum interkulturelle Missverständnisse so wichtig sind in diesem Fach, etwas Neues zu erfahren aus einer anderen Kultur dagegen nicht.

Es sind das

1) die marktwirtschaftliche Ausgestaltung unserer Welt,
2) die demokratische Verfasstheit der westlichen Welt,
3) die Bedeutung von Marketing- und PR-Sprache in unserer Welt,
4) die Logik wissenschaftlicher Darstellung
5) die Dynamik des Bildungssystems (von diversen Kursanbietern bis hin zu Universitäten), welches dem Arbeitsmarkt zuarbeitet
6) und die stetig zunehmende Bedeutung des Beraterwesens und seiner „Gesetze“ in unserer Welt.

Aber vielleicht sollte ich überhaupt so anfangen: Was unsere heutige Welt von allen früheren unterscheidet, ist die gewaltige Zunahme der Zahl (und auch der Bedeutung) von Organisationen. Unser heutiges Problem ist nicht so sehr das, wie wir mit einem Individuum aus einer anderen Kultur kommunizieren können? – Bei Kommunikationsbereitschaft auf beiden Seiten renkt sich das schon ein. Unser heutiges Problem ist, wie wir mit Organisationen und großen Institutionen (oder in ihnen) kommunizieren sollen?

Und jetzt der Reihe nach:

ad 1) die marktwirtschaftliche Ausgestaltung unserer Welt. – Es ist zwar nicht wirklich notwendig das extra zu sagen, denn es versteht sich in gewisser Weise von selbst, aber es wäre vielleicht doch gut, wenn das einmal explizit gemacht würde, nämlich dass es wirtschaftlichen Unternehmungen eigentlich nicht darum geht, von einer anderen Kultur etwas zu lernen. Ziel der ökonomischen Bemühungen ist Gewinnmaximierung und Bestehen bzw. Wachsen in einem umkämpften Markt. Ziel der Interkulturellen Kommunikation aus betriebswirtschaftlicher Sicht wird daher in der Hauptsache das Umschiffen von Klippen sein, die die interkulturelle Verschiedenheit der Menschen in einer globalisierten Welt mit sich bringt. Das besagt nicht, dass Unternehmer böse seien noch sagt es überhaupt etwas über ihre persönliche Orientierung aus (vielleicht sind sie als Individuen tatsächlich interessiert an fremden Kulturen), es nimmt nur Bezug auf die Logik des marktwirtschaftlichen „Spiels“. Von hier aus wird verständlich, warum die Interkulturalität in der Interkulturellen Kommunikation in erster Linie als „Problem“ aufgefasst wird – und nicht etwa umgekehrt als „Reichtum“.

ad 2) die demokratische Verfasstheit unserer westlichen Welt. – Diese darf man nicht kritisieren, denn sie ist bei uns so eine Art Tabuthema. Zu stolz sind wir auf unsere Demokratien im Gegensatz zu totalitären Systemen, mit denen man den größten Teil des 20. Jahrhunderts kämpfen musste und von denen einige noch heute existieren uns zum Zeichen, immer wachsam zu bleiben. Tatsächlich gebe ich zu, dass das demokratische Prinzip besser als alles, was zuvor probiert worden ist (Feudalismus, Totalitarismen etc.), aber ein bisschen muss ich es dennoch kritisieren (auch in der Hoffnung, dass man dieses Manko einmal verbessert), denn es sieht den einzelnen Menschen nicht. In der Demokratie wird ein Anliegen erst dann gehört, wenn es nicht nur einem einzelnen Menschen, sondern zumindest einer etwas zahlreicheren Gruppe zugeschrieben wird (es muss nicht unbedingt die Mehrheit sein). Aus dem Grund erreichen die Rentner gewöhnlich viel in unseren Staaten (weil sie gut organisiert sind) und die Schüler nicht (weil sie es nicht sind; die kriegen es auf den Kopf). In die Interkulturelle Kommunikation übersetzt sich diese Blindheit für das Individuum in der Weise, dass die möglichen individuellen Interessen am interkulturellen Austausch keine Berücksichtigung findet und anstatt ihrer immer wieder die Perspektive des Völkerverbindenden aus der Sicht sozialer Großgruppen in den Vordergrund tritt. Einfacher formuliert: Es geht heute immer wieder um die Aussöhnung von z.B. Polen und Deutschen (als Nationen) ohne dass die Interessen der einzelnen Polen oder Deutschen (als Individuen) dabei eine Rolle spielen. D.h. der soziale Gesamteffekt zählt, nicht die einzelne geglückte interkommunikative Beziehung.

ad 3) die Bedeutung von Marketing- und PR-Sprache in unserer Welt. – Marketing- und PR-Sprache sind wirklich ein ernsthaftes Problem für einen jeden Menschen, der sich tatsächlich – und nicht nur scheinbar – mit welchen Fragen und Problemen auch immer auseinandersetzen will. Denn heute muss alles immer vor allem schön klingen. Die Marketing- und PR-Sprache, geformt von den Formaten der Medien und auch vom demokratischen Prinzip, streben nach einer Überzeugungsweise, die vor allem zwei Eigenschaften hat: Alles muss erstens überzeugend auf den ersten Blick wirken, und zweitens muss es (in möglichst kurzer Zeit) möglichst viele Menschen überzeugen – und nicht etwa die Klügsten. D.h. die Marketing- und PR-Sprache bringt gewissermaßen Überzeugungsattrappen hervor, Argumente oder Darstellungen, die sofort umfallen, wenn man sie nur ein wenig hinterfragt, aber die dennoch ihre Wirksamkeit behalten, weil sie es schaffen, eine große Zahl von Menschen zu überzeugen (besser: zu blenden), die nicht bereit sind, einer Sache mehr Zeit zu widmen, um sie zu reflektieren. Marketing- und PR-Sprache sind die Ursache dafür, dass die Interkulturelle Kommunikation heute als eine neue und modische Disziplin daherkommt, die verspricht, allerlei wirtschaftliche und gesellschaftliche Probleme zu lösen. In dieser Gestalt hat das Fach Interkulturelle Kommunikation vor in der Politik und im Bildungswesen ein äußerst positives Echo, was dazu führt, dass diese Disziplin einen sehr positiven Ruf hat und überall Studien- und Ausbildungsgänge in Interkultureller Kommunikation wie Pilze nach dem Regen aus dem Boden schießen. Ein jeder Kritiker der Interkulturellen Kommunikation – so wie ich – wird demgegenüber als Miesmacher gelten (weil er nicht den Vorteil des ersten Anscheins für sich einnehmen kann – und der erste Anschein ist doch der, dass Interkulturelle Kommunikation eine für alle gute Sache ist). Auch mir ist bewusst, dass es aussichtslos ist, in der heutigen Welt gegen den ersten Anschein zu kämpfen, weil niemand mehr bereit ist, sich ein wenig Zeit zu nehmen und über die Dinge nachzudenken, dennoch möchte ich darauf hinweisen, was die Marketing- und PR-Logik unserer Welt mit der Interkulturellen Kommunikation macht: Interkulturelle Kommunikation wird in ihrem Sinne heute betrieben, um eine gute Stimmung zu erzeugen und der Öffentlichkeit zu kommunizieren, dass wir die „Guten“ sind; Kommunikationsbereitschaft und Toleranz werden ebenfalls beschworen, und zwar egal, ob sie wirklich vorhanden sind oder nicht – und das Ziel ist es, eine warme Stimmung des „Wir sind so interkulturell, wir sind so aufgeschlossen, so tolerant, so politisch korrekt, so in Ordnung, so weltoffen etc.“ zu erzeugen (die zwar gut geeignet ist, um unter ihrem Mantel andere Geschäfte zu erledigen, aber) die uns soweit bringt, dass wir aufhören zu denken, reale Probleme nicht sehen und ganz gewiss keine interkulturellen Probleme lösen. Dass das Gute also etwas Böses sein kann, weil es nur dem ersten Anschein nach gut ist, ist dem heutigen Menschen schwer beizubringen, aber man überlege nur mal: Das Böse kleidet sich immer in den Anschein des Guten, sonst würden wir es nie tun.

ad 4) die Logik der wissenschaftlichen Darstellung. – Hier hat man es mit nicht enden wollenden Vorurteilen auf Empfängerseite zu tun, wenn bei Thema aufzuklären versucht, und die kommen daher, dass die heutigen Menschen in der überwiegenden Mehrheit eine völlig falsche Vorstellung vom Wesen der Wissenschaft haben. Ich mache es gleich von Anfang an klar: Wissenschaft ist nicht rationales Erkennen der Welt. Ich habe in der Überschrift zu diesem Punkt schon darauf hingedeutet, worauf es ankommt: zur rationalen Welterkennung kommt noch eine bestimmte Weise der Darstellung hinzu. Die Wissenschaft funktioniert wie ein Land der zu beackernden Forschungsfelder: Ein jeder Wissenschaftler sucht sich ein Themenfeld aus, zu dem noch keine Publikation existiert, und baut auf diesem, nach aufwändiger Beforschung desselben, ein Wissensgebäude, das fest fundiert, differenziert und ausgewogen dargestellt sein soll und welches in seiner Funktion als Wissen das letzte Wort über jeden einzelnen Punkt dieses gesamten Themenfelds sagen soll. Das heißt, die Wissenschaft schließt ihrer Zielvorstellung nach rationale Diskussion aus, denn irgendwann einmal muss ja mit der Diskussion Schluss sein, damit aus den verschiedenen Meinungen Wissen werden kann. (Es scheint mir zwar ein wenig naiv und einfältig zu sein, dass das gesammelte Wissen der Welt die Gestalt eines großen Wissensgebäudes annehmen soll, aber das ist die Vorstellung der Wissenschaft.) Ich muss das noch einmal wiederholen: Kein rationaler Gesprächsbeitrag ist wissenschaftlich, der nicht der Intention nach an diesem großen wissenschaftlichen Wissensgebäude mitbaut, an dessen Ende die Idee von einem Ende aller Diskussionen steht, weil man nun ja alles mit Sicherheit weiß. Die Interkulturelle Kommunikation könnte nun, ihrem eigentlichen Grundanliegen gemäß, interkulturelle Diskussion in bestimmte wissenschaftliche Fächer (in die Geisteswissenschaften, aber auch in das Fach der Interkulturellen Kommunikation selber) einführen, und ich habe in meinen Fächern auch öfters reklamiert, dass sie das tun sollte. Das Problem ist nur, dass diese Anliegen in einem grundsätzlichen Widerspruch zur Wissenschaft in ihrer Gestalt als Wissenschaft steht. Am Ende der Wissenschaft steht ein Wissensgebäude in der Form eines Lehrbuchs und nicht eine interkulturelle Auseinandersetzung. Diese grundsätzliche wissenschaftliche Orientierung können die Wissenschaftler trotz aller ihrer Einsicht in die Notwendigkeit, von anderen Kulturen zu lernen und Menschen aus anderen Kulturen zuerst einmal zuzuhören, nicht überwinden. Dementsprechend sehen dann oft ihre Lehrbücher für Interkulturelle Kommunikation aus: Sie stellen das Fach als ein Lehrgebäude vor, das vielleicht noch nicht in allen Teilen ganz ausgearbeitet ist, das aber im Grunde alles über andere Kulturen schon weiß und keinen Dialog mehr hat, weil es ja wissenschaftlich ist. Wissenschaft ist also freilich schon rationales Welterkennen, aber ein solches, das krass antidialogisch eingestellt ist – und diese Einstellung kommt aus dem wissenschaftlichen Bestreben nach systematischem Wissen. Und dieses systematische Element wiederum bewirkt, dass wissenschaftliche Bücher über Interkulturelle Kommunikation keine interkulturellen Bücher sind, ja an so etwas wie Interkulturalität – und der Fähigkeit, den anderen anders sein lassen zu können – nicht einmal interessiert sein kann. Das scheinen die meisten nicht zu verstehen, dass, bevor wir der Wissenschaft nicht eine andere, dialogischere Gestalt geben, Interkulturalität und Interkulturelle Kommunikation in ihr von vornherein keinen Platz haben können.

ad 5) die Dynamik des Bildungssystems (von diversen Kursanbietern bis hin zu Universitäten), welches dem Arbeitsmarkt zuarbeitet. Auch hier habe ich den Eindruck, eigentlich nur Dinge zu erwähnen, die jeder, der seine Augen offen hat, sehen kann, bei denen aber kaum jemand wahrnimmt, wie sehr sie unsere gegenwärtige Welt prägen und allen Dingen ihre Gestalt aufprägen. Also: Die Dynamik des Bildungssystems besteht darin, dass eine unübersichtlich große Anzahl von Organisationen unterschiedlich guten Rufs Ausbildungen anbieten, die letzten Endes auf dem Arbeitsmarkt Anerkennung finden sollen. Daraus folgt als praktische Verhaltenskonsequenz: Die Menschen lernen heute nicht mehr, um etwas zu wissen, sondern des Diploms wegen, das sie bekommen. Gelehrt wird alles, was vom Arbeitsmarkt anerkannt wird, im Moment ist Interkulturelle Kommunikation gerade sehr in Mode. Was nun die Inhalte einer solchen Ausbildung in Interkultureller Kommunikation betrifft, so sollen diese weniger ein kritisches Bewusstsein der Sache überhaupt bei den Auszubildenden entwickeln, als einfach den Studierenden das Gefühl geben, etwas gelernt zu haben, weil sie doch als Kunden der Universitäten oder sonstigen Ausbildungsorganisationen bezahlen. Es ist also schon einmal von vornherein undenkbar, ein Curriculum zu erstellen, dass das gesamte Fach kritisch hinterfragt, denn das eigene Studienangebot in Interkultureller Kommunikation soll ja nur ein Konkurrenzprodukt zu dem sein, was andere Ausbildner anbieten. Das Fach Interkulturelle Kommunikation wird also dem Imperativ des heutigen Bildungssystems gehorchend am liebsten mit einfachen Rezepten und großen Namen gefüllt. Alle möglichen Theorien verschiedener Herkunft werden schamlos durcheinandergeworfen, und ich beiße dann gnadenlos auf Granit, wenn ich jemandem zu vermitteln suche, dass Hofstede, Trompenaars und Alexander Thomas unterschiedliche Konzepte von Kultur haben. Man versteht die Relevanz meines Einwands nicht einmal, weil es ja nur darum geht, mit bekannten Namen und Theorien um sich werfen zu können – und hier werde auch ich wiederum einsichtig: Wenn es wirklich nur darum geht, das Eisberg- oder das Zwiebelmodell etwa zu kennen und es lässig in ein Gespräch einstreuen zu können, dann habe ich zu dem gesamten Fach wirklich nichts beizutragen.

ad 6) die stetig zunehmende Bedeutung des Beraterwesens und seiner „Gesetze“ in unserer Welt. – Das Beraterwesen funktioniert umgekehrt wie das PR-Wesen, indem es auch Negatives zulässt, aber wie die Marktwirtschaft insgesamt ist es in der Lage, in sich Gegensätzliches zu vereinen, ist das Beraterwesen in der Lage, gut in der Markwirtschaft zu leben und von der heutigen Unübersichtlichkeit der Institutionen- und Organisationswelt zu profitieren. Aber bevor jemand nicht versteht, möchte ich mich erklären: Die meisten Menschen verstehen ja etwa nichts von Wirtschaft. Sie glauben dann etwa, der Wirtschaft ginge es schlecht, wenn sie, so wie jetzt in einer Wirtschaftskrise steckt. Sie sehen nicht, dass es dem Management der Unternehmen in Krisenzeiten gelingt, mit Verweis auf die schlechte wirtschaftliche Situation, Einsparungen (unter anderen bei den Gehältern) durchzusetzen, die in Wirtschaftswachstumszeiten nie erreichbar gewesen wären. Mit anderen Worten: Wenn es der Wirtschaft gut geht, dann geht es ihr schlecht – und wenn es ihr schlecht geht, geht es ihr gut. Man kommt mit wirtschaftlichen Phänomenen nicht zurecht, wenn man sie als einfache auffasst (wenn die Wirtschaft in einer Krise ist, dann muss es ihr doch schlecht gehen) und nicht die verdoppelte Logik sieht, die immer wieder in ihr wirkt. Das Beraterwesen funktioniert so ähnlich, weil es ein systemimmanentes Manko ausgleicht, d.h. einen Fehler ausgleicht, den das System verursacht hat. Man sieht das sehr gut am Beispiel der Anträge um EU-Fördergelder: Die Menschen haben so großen Respekt und eine solche Scheu vor den undurchsichtigen Institutionen der Europäischen Union, dass sie sich nicht mehr selber mit ihnen zu kommunizieren trauen, sondern Beraterfirmen als Mittler einschalten. Das heißt, für die Beraterfirmen ist gut, was für die anderen Unternehmen und Individuen schlecht ist, die Undurchschaubarkeit der EU-Institutionen. Beraterunternehmen suchen das Schlechte und leben davon, im Fall der Interkulturellen Kommunikation ist es die Angst vor interkulturellen Missverständnissen, die gezielt geschürt wird; im Bereich der Sprachvermittlung wird mit so genannten „falschen Freunden“, also Wörtern, die in verschiedenen Sprachen ähnlich klingen, aber Verschiedenes oder sogar Gegensätzliches bedeuten, gezielt Angst gemacht. Die Beraterlogik in unserer Welt verträgt sich recht gut mit der Logik des Bildungssystems, indem dann als Lösung für die an die Wand gemalten Gefahren einfache Rezepte angeboten werden. Fraglos verträgt sie sich auch gut mit der Marketing- und PR-Sprache, weil man sich selber als kompetenten und professionellen Partner präsentiert, der seinen KundInnen hilft, Probleme zu lösen.


Und es werden ja auch alle Probleme in unserer Welt, so weit ich das sehe, immer wieder gelöst. Das heißt, unsere Welt ist ein Spiel, das sich aus sich selbst heraus nährt und fortsetzt: Hier wird eine scheinbare Gefahr in die Welt gesetzt, dort ein wirtschaftliches Bedürfnis daraus entwickelt, woanders wird dann wiederum eine Lösung für dieses Problem im Ausbildungsbereich erarbeitet und angeboten. Das Spiel erhält sich also selbst, wie viel es allerdings mit den real existierenden Problemen unserer Welt zu tun hat, ist eine Einschätzungsfrage. Möglicherweise verdankt sich also das Fach Interkulturelle Kommunikation in seiner heutigen Gestalt zu 5% realen Problemen und Anliegen der interkulturellen Verständigung, bei denen sie die Menschen unterstützen möchte und zu 95% dem Einfluss der sechs dargestellten Elemente institutioneller Gestaltung unserer Welt, wie ich das genannt habe, (denn wir dürfen ja nicht vergessen, dass unsere Welt, wie ich eingangs angemerkt habe, immer weniger eine von Menschen ist, die miteinander interagieren, sondern von Organisationen, die miteinander interagieren). Der Prozentanteil der realen Probleme interkultureller Kommunikation als Ursache und Ausgestaltungsfaktor des Faches kann dabei ruhig auch höher liegen – aber das würde auch nichts daran ändern das das Fach an sich verunstaltet ist, weil es, wie ich es in der Darstellung der einzelnen Punkte herausgearbeitet habe, nach der Bestehens- und Funktionslogik dieser Elemente institutioneller Gestaltung unserer Welt geformt ist und nicht nach der Logik des Faches und seiner zentralen Fragen selber.

Es ist allerdings wahrscheinlich, dass uns dieselben institutionellen Einflüsse wieder begegnen werden, wenn wir uns mit einem beliebigen anderen Thema auseinandersetzen; insofern kann man auch aus dem Fach Interkulturelle Kommunikation und der Weise, wie es sich heute dem Publikum präsentiert, die heutige Gestaltung der Welt herauslesen.

 

30. Juli 2009


© helmut hofbauer 2009